Der geschenkte Gaul

Es ist noch gar nicht so lange her, da bevölkerten arme, frustrierte Poeten abends die Wirtshäuser und beklagten die Welt der Bücher im Allgemeinen und die Welt der Verlage im Besonderen. Tagsüber gingen sie ungeliebten Brotberufen nach, die sie nur aushielten, weil sie ja wussten, dass sie eigentlich, eigentlich, tja, was eigentlich? waren. Durfte man sich denn Schriftsteller nennen, auch wenn man noch nicht ein einziges Buch veröffentlicht hatte? Autor traf es besser, aber Autoren sind viele, auch die, die in Zeitungen oder Zeitschriften schreiben, TV-Beiträge verfassen oder ihre Blogs veröffentlichen. Da letztere nicht selten deckungsgleich mit oben genanntem Personenkreis waren, zählte Autor irgendwie nicht. Schriftsteller, allein der Klang dieses Wortes sorgte für einen Hitzeflash und mithin das nächste Glas Rotwein, um das erhitzte Gemüt zu kühlen. Man wurde zwar als Schriftsteller geboren, aber erst der Segen eines Verlages schien den Schreiberlingen dieser Welt das Recht zu verleihen, sich auch Schriftsteller nennen zu dürfen. Ich weiß, wovon ich rede, auch ich habe jahrzehntelang über die Welt der Verlage lamentiert und mich nicht getraut, das Wort Schriftstellerin in Verbindung mit mir in den Mund zu nehmen.

Und weil das so war, haben oft die Besten, die Begabtesten, die Begnadetsten niemals ein Buch zu Ende geschrieben. Kein Plot, keine Geschichte schien ihnen gut genug, um endlich den ersehnten Ritterschlag zu bekommen. So wie mein bester Freund, der mit 52 Jahren an einem Herzinfarkt starb, ohne jemals ein einziges Buchprojekt zu Ende gebracht zu haben. Oh ja, er hat sich vom Schreiben ernährt, er war er kreativste Mensch, den ich je gekannt habe, ein Meister der Worte, ein Plotgott, PR-Chef, Redakteur, Chefredakteur – nur ein Schriftsteller wurde er nie. Ich habe mindestens zwanzig Buchanfänge von ihm gelesen, alle waren sensationell. Nicht die übliche Genreliteratur, das, was er schrieb, war richtige, große Weltliteratur. Aber er ist niemals über 80 Seiten hinaus gekommen. Noch heute bin ich davon überzeugt, dass ihm das das Herz gebrochen hat.

Patricia Highsmith hat mich aus dem Bücherschrank ausgelacht
Patricia Highsmith hat mich aus dem Bücherschrank ausgelacht

Im Gegensatz zu meinem begnadeten Freund habe ich die Bücher, die ich angefangen habe, auch zu Ende geschrieben. Aber oh ja, ich konnte ihn gut verstehen, auch ich duckte mich jedes Mal, wenn ich an meinem Bücherschrank vorbei lief, da lauerte schließlich  Patricia Highsmith und lachte mich aus. Ich konnte mit der Ablehnung der Verlage leben, aber ich bin stärker gebaut als mein Freund, er hätte eine Ablehnung  nicht ausgehalten. Jeder, der anfängt zu schreiben, begibt sich in eine Art von Vorhölle.  Nur wer sein Innerstes auskotzt, kann es aufnehmen mit Goethe, Schiller, Highsmith und Konsorten. Die Angst, abgelehnt zu werden, blockiert vor allem die Begabtesten. Es sind diese Briefe, die einem das Herz zerfetzen: „Anbei ihr Manuskript zurück. Es passt nicht in unser Verlagsprogramm.“ Das sind die netten Ablehnungen. Die weniger netten gehen an unsere Agenten. Mein Agent hat mir die Ablehnungen ungefiltert weitergeleitet, jeder Dreizeiler ein kleiner Tod.

Und dann kam Amazon. Ist das wirklich erst vier Jahre her? Vier Jahre, in denen die Wirtshäuser mächtige Einbußen erlebten, denn die armen, frustrierten Poeten haben keine Zeit mehr, sich abends die Hucke voll zu saufen. Es wird geschrieben, bis man zur Physio muss, denn nun endlich brauchen wir keine Verlage mehr.  Wir sind die 1-Click-Schreiber, die Flatrate-Autoren, die Schnellschreiber, wir überschwemmen den Markt mit Geschichten, denn endlich, endlich, ist da niemand mehr, der ruft: HALT! Den Ausweis bitte!“ Wenn ein Buch floppt, egal, schnell ein neues schreiben, beim nächsten Buch wird alles besser. Plötzlich und unerwartet ist die Welt voller Schriftsteller, und viele, sehr viele von uns haben damit einen Erfolg, wie sie ihn nie bei einem Verlag hätten erleben dürfen. Schöne neue Welt.

In diesen vier Jahren hat Amazon des öfteren seine Konditionen geändert. Da versanken die Gratis-Charts im Nirwana, da gab es plötzlich die Möglichkeit, Bücher kostenlos zu leihen, erst über Prime, dann über die Flatrate. Dann kamen die Boni. Wir Schreiberlinge haben uns angepasst, unsere Strategien geändert. Aber jedes Mal war das Lamento groß. Wie kommen die eigentlich dazu, solche Konditionen einzuführen? Unverschämtheit! Ohne uns ginge das alles ja gar nicht.

Erstaunlich, wie schnell wir armen, frustrierten Poeten uns an die Institution KDP gewöhnt haben, noch erstaunlicher, wie schnell wir unser nie enden wollendes Lamento über die bösen Verlage, diese Ignoranten, vergessen haben. Liegt’s am Rotwein?

Dann kam Kobo. Und jetzt also Tolino. Kollegen, die Welt könnte sich nicht schöner für uns drehen! Der Buchmarkt hat jetzt Tür und Tor für alle geöffnet. Statt hundert Lektoren können jetzt Hunderttausende ein Urteil über unsere Ergüsse abgeben. Auf allen Kanälen. Und was machen wir? Genau. Lamento. „Die Technik funktioniert nicht.“ „Die sollen mal ohne mich üben.“ „Bin ich hier der Beta-Tester oder was?““ Semiprofessionell.“ Gar mancher Kollege nimmt sein eBook wieder raus: „Geht ja gar nicht!“ (Kommt mir so vor wie „Geschieht meiner Mutter ganz recht, dass ich mir die Hand verbrannt habe, warum hat sie auch die Herdplatte angemacht.“)

Seit einigen Wochen sitze ich Tag für Tag fassungslos vor dem Computer und lese die scheinbar nie enden wollenden Lamenti. Komisch. Ich kriege von allen Shops pünktlich mein Geld und eine nachvollziehbare Abrechnung. Dass das ein oder andere optimiert werden könnte, so what? Wir leben in den Gründerjahren einer neuen Lesekultur. Anstatt zu maulen, sollten wir mithelfen, das System zu perfektionieren. Denn: In fünfundvierzig Berufsjahren hatte ich nie einen Geschäftspartner, der so pünktlich und genau abgerechnet hat, wie unsere jetzigen Partner. Und – auch das wage ich hier einzuwenden – ich hatte noch nie einen Verlag, der so schnell und so genau abgerechnet hat, der so viel für mich und meine Bücher getan hat wie Amazon, Kobo und jetzt auch Tolino. Klar haben die ein Eigeninteresse daran, das haben die Verlage auch.

Einem geschenkten Gaul guck man nicht ins Maul. Dieser alte Spruch scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Viele der armen, frustrierten Poeten haben sich innerhalb kürzester Zeit zu kleinen Diven entwickelt. Die es selbstverständlich finden, dass man  ihnen Chancen und Möglichkeiten auf dem Silbertablett serviert, aber bitte nur in perfekt poliertem Zustand.

Vielleicht liegt es ja daran, dass ein großer Teil der Kollegen immer noch darauf hofft, irgendwann den „Ritterschlag“ eines Verlages zu bekommen. Nicht weil er dem Konto gut tut, sondern der Seele. Die bereits Geschlagenen sehen das deutlich gelassener. Oder aber der Rotwein ist schuld.

 

 

 

 

 

 

 

 

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