Die Fresse poliert – 33 Testleser und 10 Fingernägel

Wer jemals auch nur fünf Zeilen in seinem Leben veröffentlicht hat, weiß, wovon ich spreche: Autoren haben ein seltsames Verhältnis zu ihren geistigen Ergüssen. Bevor man jemandem zeigt, was man geschrieben hat, dreht und windet man sich wie ein Mobile bei Windstärke 9. Während jemand dann den Text liest, würde man am liebsten im Erdboden versinken vor Scham, wie Django mit den Särgen in der Ferne verschwinden oder es machen wie unsere Katze: wenn ich mich unter einem Handtuch verstecke, sieht mich keiner. Noch schlimmer ist es, wenn man gerade einen Bestseller gelandet hat und nun bitteschön ein Nachfolger geliefert werden soll. Deshalb also meine Aktion Testleser. Über Facebook habe ich Testleser gesucht und es meldeten sich 33 Leser, davon neun Männer. Diese habe am Donnerstag das bereits lektorierte Manuskript von „Das 5. Gebot“ per pdf erhalten und sollten bis Sonntag dieses lesen und einen Testbogen ausfüllen.

Wie gut, dass niemand die Bissspuren in meiner Schreibtischkante sieht. Mama ist da auch nicht hilfreich. Die sagt nämlich: „Stell dich nicht so an, jahrzehntelang hat dich jeder verdammte Sparkassendirektor oder Schweinezüchter umgeschrieben.“ Ach Mama, Du warst die erste, die rausflog. Aber dazu später.

Das 5. Gebot TitelrichtigDas neue Cover

Männer lesen anders – Frauen auch 
 

Warum also eine Aktion Testleser, wenn man sich vor Angst die Fingernägel abknabbert. Ganz einfach: Das 5. Gebot ist ein viel komplizierter Roman als „Der 7. Tag“. Nochmal lasse ich mir nicht sagen, dass man bereits am Anfang weiß, wer der Mörder ist. Der Roman spielt im Grunde auf zwei verschiedenen Ebenen und die Grundfrage ist, wieviel muss bzw. darf man wann verraten, um die Spannung zu halten, die Neugierde zu wecken, dabei darf aber das Verständnis nicht auf der Strecke bleiben.

Hinzu kommt, dass ich den Roman in zwei Teilen geschrieben habe. Der erste Teil wurde bereits 2006 geschrieben, ich habe damals über den Plot mit meiner heutigen Lektorin gesprochen, die früher auch für meinen Ex-Agenten tätig war. Den zweiten Teil habe ich in den letzten drei Monaten geschrieben, nachdem Regine Weisbrod den ersten Teil bereits lektoriert hatte. Da sie genau wusste, worauf der Roman hinauslief, konnte sie zwar die Unebenheiten glätten, an der Sprache feilen, Längen aufzeigen, aber sie wusste beim Lesen, wie der Roman endet. Vor allem kannte sie meinen kleinen, gemeinen Kunstgriff, mit dem ich den Leser auf eine falsche Fährte führen will. Deshalb also zur Sicherheit die Aktion Testleser.

Was habe ich doch für ein Glück. Solche Leser, wie meine Testleser, wünsche ich jedem Autor. Besser geht nicht! Dreiunddreißig Menschen haben sich mit einem pdf rumgeschlagen, um in der Zeit zu bleiben, haben sich Gedanken gemacht, zum Teil Korrektur gelesen. Ich habe 33 detailliert Berichte bekommen und bin absolut sprachlos, wie genau und sachkundig die Testbögen ausgefüllt wurden. 33 Menschen haben sich voll und ganz auf „Das 5. Gebot“ eingelassen.
Das Ergebnis ist hochinteressant. Zeigt es doch: Männer lesen anders, Frauen auch.

Zunächst mal zur Statistik: 2/3 der Männer fanden den Roman superspannend, bei den Frauen waren es nur 5 Leserinnen, die superspannend angekreuzt haben, das entspricht 20 % der Leserinnen, also 1/5. Zwei Frauen fanden den Roman nicht so spannend, 16 Frauen und 3 Männer fanden das Manuskript spannend. Also schon mal ein guter Schnitt.

Auf die Frage nach den Protagonisten, ob man sie mag oder nicht und welchen Protagonisten am liebsten, ergibt sich ein eindeutiges Bild: Alle Männer fanden die männlichen Protagonisten am sympathischsten, wobei 90 % der Männer den Mann wählten, an dem mein eigenes Herz am meisten hängt. Das war eine Überraschung! Denn nur eine einzige Frau wählte meinen Herzensmann zum liebsten Protagonisten.

Einige Frauen hatten Probleme mit meiner Protagonistin Vicky. Okay, ich gebe zu, ich habe mir schon Leo erschaffen, damit meine flapsige Art zu reden und zu denken irgendwo eine Heimat bekommt. Aber auch bei Vicky schimmert meine ironische Ader durch. Und schon kriege ich Prügel. Sie würde viel zu kalt den Tod ihrer Mutter hinnehmen. Wie kommen die Mädels denn darauf? Vicky heult sich doch die Augen aus vor Kummer. Wie kann Vicky beim Fund einer Leiche noch eine Ameisenprozession auf ihren Schuhen sehen? Okay, ich gebe zu, das ist nicht Vicky, das bin ich. Die Vostellung, was man denkt und fühlt, wenn ein geliebter Mensch stirbt, habe ich aus eigenem Erleben und nicht nur aus sturzbetroffenen Serienkrimis. Als mein Vater starb habe ich sogar meine Gedanken und Gefühle aufgeschrieben. Für mich ist es erstaunlich, was man alles so denkt in so einem Moment, man dissoziiert, man steht vielleicht sogar neben sich und beobachtet sich selbst. Aber es gibt keine dummen Leser, nur dumme Autoren. Deshalb habe ich aus den betroffenen Szenen alles auch nur ansatzweise Flapsige rausgestrichen.

Verstanden haben den Roman alle. Sagten meine Testleser. Beim Auswerten der Testbögen kam allerdings heraus, dass alle Männer den Roman verstanden haben, allerdings vier Frauen gar nicht und einige andere nur zum Teil. Oh ha! Nun gibt es keine dummen Leser sondern nur dumme Autoren. Hier also gab es Verbesserungsbedarf.

Mehrere Leserinnen monierten, dass man am Anfang nicht so schnell in den Roman hereinkäme. Also auch hier: Arbeit, Lubitsch!

Mama: Ich hab Dich gestrichen!

Drei Frauen reagierten geradezu allergisch darauf, dass meine Protagonistin ihre Mutter in Gedanken Mami oder Mama nennt. Da könnte ich jetzt stundenlang argumentieren, dass ich mit meinen 60 Jahren meine Mutter in Gedanken immer noch Mutti nenne und mein 70jähriger Mann seine Mutter Mama, aber warum sollen meine Leser grüne Pickel kriegen, wenn es ein Programm in word gibt, das heißt suchen und ersetzen. Also heißt Mami jetzt Mom oder meine Mutter und gut ist. Und nein, liebe Testleser, Leo wird auch weiterhin Vicky mit Häseken anreden. Die englischen Übersetzer können daraus gerne Bunny booh oder sonstewas machen, mein Leo sagt Häseken!

Was ich supertoll fand: Meinen Testlesern sind Namensverwechselungen aufgefallen, Druckfehler, Unlogisches. Ich kann nur sagen: Danke, danke, danke, Leute, Ihr habt eine Katastrophe verhindert!

Mehrere Testleser haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass zwei Ereignisse im Buch nicht aufgeklärt worden sind. Na, wenn es weiter nichts ist – das war schnell eingefügt.

Ich habe also meine Sprache bei den traurigen Szenen geglättet, habe ein Kapitel hinzugefügt, das buchstäblich die Zusammenhänge erklärt, von denen ich geglaubt habe, sie würden sich dem Leser erschließen, ich habe die Schreibfehler und Bezeichnungsfehler geändert und dann habe ich die gesamte Struktur des Romans einmal durcheinandergewirbelt und die ersten kurzen Szenen auf das ganze Buch verteilt, damit meine Leser am Anfang erstmal Zeit haben, sich in eine Ebene der Geschichte einzulesen.

Die meisten Krimileser sind Frauen. Frauen lesen offenbar anders als Männer. Ich habe mich gefragt, warum haben einige Frauen das Buch wirklich nicht verstanden. Die einzige Erklärung, die ich dafür habe: Es gibt einige sehr kurze Kapitel über bereits gestorbene Frauen, die alle in der gleichen Diktion geschrieben sind. Mein Eindruck war, dass diejenigen, die nicht verstanden haben, die Kapitel nur überfolgen oder nicht bis zum Schluss gelesen haben, weil sie geglaubt haben, dass sie die Information, die in diesen kurzen Kapitel mitgeteilt wird, bereits kennen. Dass ein Reizwort reicht, um sich ein Bild zu machen. Vielleicht war es auch eine unterschwellige Angst, sich mit dem Bösen auseinanderzusetzen.

Mama hebt gerade die Hand. „Das ist genauso wie bei einem Anzeigentest“. Mama mal wieder, die war früher mal in der Werbung. „Wenn du was über Männer und Frauen lernen willst, geh mal zu einem Anzeigentest“, sagt sie. „Die Anzeigentester holen zunächst eine Gruppe von 10 Frauen zusammen, die jeweils eine Zeitschrift in die Hand gedrückt bekommen. Die müssen dann in der Zeitschrift blättern und danach sagen, an welche Anzeigen sie sich erinnern. Dann wird die zu testende Anzeige herausgenommen und es werden Fragen gestellt. Nach der Assoziation, nach der Glaubwürdigkeit etc. Danach kommen 10 Männer an die Reihe mit den gleichen Fragen. Und am Abend dann: Gemischtes Doppel. Ich war mal im Monitorraum, also sozusagen live dabei, als eine Anzeige von mir für die deutsche Landwirtschaft getestet wurde. Auf dem Bild war eine bildhübsche Kuh auf einer noch hübscheren Wiese zu sehen. Und dann ging es los. Woran dachten die Frauen zuerst: Wo sind die Kälber?  Woran dachten die Männer zuerst. An Käse. An Steak. Dann das Gemischte Doppel. Alle dachten zuerst an einen Sonntagsausflug mit der Familie. Eine Frau sagte: Die Kuh guckt einer Familie auf Fahrrädern hinterher. Niemand – wirklich niemand in dieser Gruppe hat an Kälber gedacht und niemand an Essen. Bigotte Bande!
Was aber wirklich interessant war, war die Empfehlung der Psychologin nach dem Anzeigentest. Sie empfahl, das Bild der bildhübschen Kuh auszutauschen, weil diese irritiert gucke, ihre Ruhe sei von Radfahrern gestört worden. Ich habe das Bild übrigens nie ausgetauscht und später mit der Anzeige einen Marketingpreis gewonnen.“

Ja, ja, Mama erzählt aus dem Krieg. Das kann man nicht vergleichen. Denn ich müsste mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wie meine Mama immer sagte, wenn ich die Anmerkungen meiner Testleser nicht absolut ernst nehmen würde. Ihr habt meine „Fresse poliert“, mir gezeigt, wo es hakt und mir trotzdem Mut gemacht. Das war so viel mehr, als ich jemals erwartet habe.

Ein ganz herzliches Dankeschön an alle, für Eure Mühe. Selbstverständlich bekommt jeder, der mitgemacht hat, das Buch, wenn es denn gedruckt wird, als Geschenk von mir mit persönlicher Widmung.

 

 

9 thoughts on “Die Fresse poliert – 33 Testleser und 10 Fingernägel

  1. Scahde, ich fand Mama eigentlich schön (und die Geschichte spannend), aber wenn es geändert werden muss, dann bitte auf ‚Mum‘, das ist Englisch. Die Amerikaner sagen Mom, die Engländer Mum 😉

  2. 🙂 genau das gleiche hab ich auch grad gedacht, Uwe – sehr gut zu lesen…. und ich freu mich schon drauf, dass Buch nochmal in Ruhe zu lesen. Dann versteh ich wohl auch die „Luder“..

  3. Wie witzig, Mami und Mama haben mich auch gestört; aber ich dachte, es wäre vielleicht eine Altersfrage… auch Testleser können lernen…;-)

    Und neugierig wie ich bin, wüsste ich ja gern, wer Ihr Herzensmann in dem Roman ist?

    Mein Kindle und ich warten schon ungeduldig auf das Erscheinen als eBook!!!!

    Herzliche Grüße
    Sabrina Schühle

    P.S.: Hätten Sie irgendwann mal Lust an einer Lesung in Kleinmachnow? Eine Freundin von mir hat eine kleine Galerie, in der schon öfter Lesungen stattgefunden haben…

  4. ich bin begeistert, spannend , flüssig geschrieben, gefällt mir fast noch besser als “ der 7. tag “
    mache fleissig reklame bei allen mir bekannten e- book- lesern und habe gerade erfahren, dass dein neuestes buch im moment kostenlos zu haben ist..vielleicht ein kluger schachzug von dir, dennoch unnötig, finde ich..mir wäre jedes deiner bücher einen angemessenen preis wert..
    viele grüsse
    veronika pinke
    (übrigens, dein blog liest sich schlecht auf dem farbigen hintergrund, vor allem im rechten teil..darfst dich gern bei meinen fotos bedienen. zarter und transparenter würde die seite viel besser zu lesen sein. wäre doch schade um deinen blog, der mir fast so gut gefällt wie deine bücher.)

  5. Liebe Veronika Pinke,
    wenn ich wüsste, wie ich ein eigenes Bild einfüge(oder eines von Deinen tollen Bildern -Leute, unbeingt mal reingucken, die Fotos von Veronika sind der absolute Hammer:
    http://www.fotocommunity.de/fotografin/veronika-pinke/32281

    blog.de ist mir bis heute ein Buch mit sieben Siegeln geblieben, man kann es zum Beispiel in Bali und in Australien gar nicht lesen, es gibt keine sich mir erschließende Funktion, wie man dem Ding ein eigenes Gesicht geben kann, abseits der vorgeschlagen, fertigen Layouts. Aber ich habe ja auch nie behauptet, ein technisches Genie zu sein.

    Vielen lieben Dank Veronika Pinke für die Reklame und das Lesen meiner Bücher. Herzlichst Nika Lubitsch

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