…lass‘ ich mich von dir scheiden

Autoren sind selbstverliebte Besserwisser, die davon überzeugt sind, dass sie dem Rest der Menschheit in Stil, Grammatik und Ausdrucksfähigkeit weit überlegen sind und die Welt nur darauf wartet, von ihren geistigen Konstrukten beglückt zu werden. Diese Charaktereigenschaften sind zwar im Grunde zum Kotzen, machen aber einen Menschen erst zum Schriftsteller. Nur wer davon überzeugt ist, mit Goethe und Schiller mithalten zu können, traut sich, gegen seinen eigenen Bücherschrank anzuschreiben. Wer etwas anderes behauptet, lügt.

Der natürliche Feind des Autors ist mithin der Lektor. Denn er (bitte jetzt keine Genderdiskussion) ist der Erste, der das Manuskript beurteilt. Mit jeder einzelnen Anmerkung – vorzugsweise in Rot bereits als Änderung eingefügt – tritt der Lektor die Seele des Autors mit Füßen. Denn er zweifelt ja seine natürliche Überlegenheit in siehe oben an. Okay, okay, es kann ja mal passieren, dass man im Eifer des Gefechts eine falsche Zeitform wählt. Oder einen schwammigen Begriff nimmt, obwohl es ein aussagekräftigeres Synonym gibt. Natürlich kann man auch mal übersehen, dass man sich nicht in seinen Account »einlockt« und selbstverständlich weiß sogar ich, dass es nicht „durchzwingte“ heißt, obwohl ich das geschrieben habe. Genau dafür braucht man einen Lektor.

Aber Lektor ist nicht gleich Lektor. Ich habe anbetungswürdige Lektorinnen, nein, immer noch keine Genderdiskussion, das „anbetungswürdig“ bezieht sich ausschließlich auf die Damenriege. Da werden all diese Schludrigkeiten gefunden und dezent geändert, in diesem Falle stört auch nicht das Rot im Text, denn die Damen lassen meine Manuskripte leben.

Regine Weisbrod teilt mir durch einen dezenten Strich mit, dass sie kurz davor ist, mit dem Kopf auf die Tischplatte zu knallen. Ab und zu stellt sie sich dumm und appliziert ein Fragezeichen. Natürlich schreie ich: »So doof kann man doch gar nicht sein«. Um zu erkennen: Regine hat Recht, nicht alle meine Leser haben den gleichen Bildungsstand.

Meine ersten Bücher bei Eichborn wurden von Doris Engelke lektoriert. Sie hat noch mit einem dünnen Bleistift Änderungsvorschläge angebracht und dahinter jeweils ein Fragezeichen gesetzt. Vorn auf die ausgedruckten Seiten hat sie ein Post It geklebt, auf dem stand: »Anbei dein wunderbares Manuskript heil und ganz zurück«. Hach, wie ich diese Frau geliebt habe!

Also doch nicht der beste Feind des Autors? Nein, die oben beschriebenen hauptberuflichen Lektorinnen schließe ich in mein Nachtgebet ein.

Aber es gibt auch andere und das sind die, die einen Schriftsteller in den Selbstmord treiben oder zumindest eine jahrelange Schreibblockade herbeiführen können.

Ich entsinne mich noch meiner Wut, der Verzweiflung, der heißen Tränen, die ein Lektor vor vielen Jahren bei mir ausgelöst hat, dem ich den Auftrag gegeben hatte, »Der 7. Tag« zu lektorieren. Der Mann hat für mein Geld echt geackert. Es gab einen einzigen Satz, den er in dem Manuskript nicht geändert hat. Da hat er daneben geschrieben: »Vielleicht kann die Frau ja doch schreiben?“ Ansonsten hat er kein Wort neben dem anderen gelassen. Jeden Satz verbessert oder höhnisch kommentiert. Wenn ich zum Beispiel schrieb, dass mein Protagonist während der Hundstage eineinhalb Stunden den Garten gesprengt hat, dann schrieb er daneben: »Peinliche Übertreibung«. Als Krönung stand unter der Danke-Seite: »Und all diese Experten sollen diesen Schwachsinn zugelassen haben?«

Obwohl ich wusste, dass er Unrecht hatte, hat er mich dazu gebracht, dass ich das Manuskript in die unterste Schrankschublade ganz nach hinten verbannte, wo es dreizehn Jahre lang Staub ansetzte. Er hat erreicht, dass ich glaubte, nicht schreiben zu können. Er ist Schuld daran, dass ich alles, was es an Sekundärliteratur über kreatives Schreiben gab, verschlang. Er brachte mich dazu, jeden verfluchten Kurs zu besuchen, der im Internet dazu angeboten wurde. Ihm verdanke ich die vielen Jahre, in denen ich nur Kurzgeschichten zur Übung schrieb.

Dieser Mann ist ein Verbrecher! Er hat mir dreizehn Jahre meines Schriftstellerlebens geraubt.

In meiner Verzweiflung habe ich angefangen, Sachbücher zu schreiben. Und siehe da, es war kein Problem, dafür einen Verlag zu finden.

Dann war da noch die Lektorin, die jeden dritten Satz von mir umgestellt hat. Ja, Mädel, ich weiß, dass ein vollständiger deutscher Satz aus Subjekt, Prädikat und Objekt besteht. Ich mache trotzdem manchmal nach einem Wort einen Punkt. Punkt. Und fange Halb-Sätze gern mal mit einem großen »und« an. Das mache ich bewusst, und nicht, weil ich in der dritten Klasse Grundschule im Deutschunterricht geschlafen hätte.

In meinen Romanen flüstern und nuscheln sie nicht. Wenn meine Protagonisten was zu sagen haben, dann sagen sie es. Sie reden so wie Menschen aus Fleisch und Blut und nicht wie sich ein Deutschlehrer das vorstellt. Ob sie dabei flüstern oder schreien, sollten meine Leser dem Ton der Aussage entnehmen. (Für irgendwas müssen ja die vielen amerikanischen Schreib-Ratgeber gut gewesen sein)

Jeder Autor sollte einen individuellen Schreibstil haben. Denn der verleiht unseren Texten die Einzigartigkeit. Wenn ein Lektor mit dem individuellen Stil eines Autors ein Problem hat, dann sollte er die Hände von dem Manuskript lassen.

Gestern hatte ich nun erneut so eine Begegnung der dritten Art. Bereits auf der ersten Seite sah ich flächendeckend Rot. Allerdings war dieser Lektor so weit gegangen, dass er nicht nur meine Sätze ins Passiv gesetzt und aus Verben Substantive gemacht hatte, sondern ganze Passagen meines Romans ersatzlos gestrichen hat. Dabei fand er wohl insgesamt 20 Seiten überflüssig.

 

Beispiel:

Aus »was hier als Recht gesprochen wird«, wurde »als Grundlage der Rechtsprechung gilt«.

 

Nö, oder? Ich hätte ja wetten können, welcher Satz im folgendem Absatz gestrichen wurde:

 

„Kein Grund zur Panik“, hatte mir mein Gynäkologe jedenfalls versprochen. Und jetzt das: „Leider habe ich heute keine gute Nachricht für Sie.“ Er machte dabei ein Gesicht wie Heidi Klum, wenn sie sagt: „Ich habe heute leider kein Foto für dich.“

 

Genau. Nur schnell alles streichen, was Kino im Kopf erzeugt.

Und da wusste ich es. Nicht der berufliche Lektor ist der beste Feind des Autors. Es sind die erfolglosen Schriftsteller, die frustrierten Kollegen, die sich als Lektoren verdingen, die so in den Texten anderer herumfuhrwerken. Ohne den Lektor jemals gesehen oder mit ihm gesprochen zu haben, wusste ich: Der Mann ist Deutschlehrer und schreibt selbst Bücher mit mäßigem Erfolg. Bingo.

Ich entschuldige mich also bei allen hauptberuflichen Lektoren, die sensibel unsere Manuskripte zu funkelnden Edelsteinen schleifen und polieren. Und sage es mit den Worten des leider verstorbenen Berliner Barden Lothar von Versen:

 

»Und wenn du

meine Verse nicht lobst,

lass‹ ich mich

von dir scheiden«.

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