Auf nüchternen Magen

Die Fehler häuften sich in der letzten Zeit, von Tag zu Tag fielen mir meine täglichen Aufgaben schwerer. Als ich dann noch mein letztes Buch „Route 21“ durch meine eigene Dusseligkeit im Nirwana versenkt hatte, war mir klar: So geht es nicht weiter. Ich brauchte dringend eine Ruhepause, die letzten zwei Jahre waren anstrengend. Ich träumte von zwei Wochen, in denen ich mich nur um mich kümmern konnte. Da ich wegen all der Sorgen um meinen Schatz auch noch mit der freundlichen Unterstützung von Milka und Lindt mein Schlachtgewicht erreicht hatte, drängte sich mir die Idee von einem Fastenurlaub auf. Kirsten Wendts Fastenklassiker „HonigSaftBrühe“ tat ein Übriges, um mich davon zu überzeugen, dass das genau das Richtige für mich wäre. 

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Vorsichtig tastete ich mich bei Mausebär vor. Wir haben seit dreißig Jahren immer gemeinsam Urlaub gemacht, waren nie länger als eine Nacht getrennt, wie würde er die Idee von meiner erträumten Auszeit aufnehmen? Mausebär wäre nicht mein Mausebär, wenn er mich nicht sofort in meinem Vorhaben unterstützt hätte. Also habe ich mich kurzfristig auf die Suche nach einem freien Plätzchen in einer Fastenklinik gemacht.

Im Februar hätte sich eigentlich Marbella angeboten. Aber das konnte ich Mausebär nicht antun, mein Schatz hat dort viel gearbeitet und in Puerto Banús sein Boot liegen gehabt. Ich wollte zwar Urlaub, aber ihm nicht das Herz brechen.

Also die Buchingerklinik in Überlingen. Mit der Rezeption habe ich zeitnah freie Termine gefunden, allerdings zeigte sich bei der Reiseplanung, dass ich – egal ob mit Flieger oder Bahn – immer mindestens neun Stunden Anreise hätte. Gab es denn keine Alternative? Doch. 

Es gibt eine Buchingerklinik in Bad Pyrmont. Und die hatten sogar noch kurzfristig ein Zimmer für mich frei, wenn auch nicht im renovierten Gebäudeteil. So what, Buchinger, ich komme. 

Und so landete ich in Bad Pyrmont, im schönen Weserbergland. „Hier gibt es ja richtige Berge“, sagte ich erstaunt zum Taxifahrer. Der lachte. Mich aus, wahrscheinlich. 

WeserBERGland

Die Klinik empfing mich freundlich und mit sofortigem Programm. Kaum hatte ich meinen Koffer im Zimmer, war auch schon der erste Arzttermin angesagt. Dottore war durchaus sympathisch, aber mit seiner untersetzten Statur und seinem Bierbauch eher nicht als Aushängeschild für eine Fastenklinik geeignet. Der Doktor erwies sich als Vitaminapostel („ich nehme jeden Morgen 15 Pillen“) und riet mir zu einer Detoxkur und Myer’s Cocktail, nach dem man einen unglaublichen Energiekick fühlen sollte.  Vorsorglich sollte ich neben der normalen Blutuntersuchung eine erweitere Blutanalyse machen lassen, um meine Vitamindefizite zu erkennen und beheben zu lassen. Ich nickte also die zusätzliche Untersuchung ab (125 € extra) und buchte Detox und Myer’s Cocktail (200 €), was sich als zweistündige Infusion von verschiedenen flüssigen Mineralstofffen und Vitaminen entpuppte. Auf den Energiekick warte ich bis heute. 

Direkt nach dem Arztbesuch bekam ich eine Kanne mit aufgelöstem Glaubersalz auf mein Zimmer, das ich an diesem Abend deshalb nicht mehr verlassen konnte. Nach fünf Stunden war die Darmreinigung abgeschlossen und ich sank erschöpft vor dem Fernseher darnieder. 

Am nächsten Morgen bin ich dann zum Wiegen, ich wog zwei Kilo weniger als bei meiner Abreise zu Hause, was wohl dem Einsatz von Glaubersalz geschuldet war. Danach runter ins Schwimmbad, ich liebe es, früh morgens zu schwimmen und ich war auch ganz allein im angenehm temperierten Pool. Das, so beschloss ich, würde ich jetzt jeden Morgen machen. 

Frühstück gibt es bei Buchinger nicht, Kaffee ist strengstens verboten, es wird dreimal am Tag ein Kräutertee in den Zimmern gereicht. Ich bat um schwarzen Tee, denn irgendetwas muss meinen Kreislauf ja in Schwung bringen. Dann schnell Termine machen, man hatte mir am Telefon gesagt, dass ich die vor Ort buchen könnte, das wäre Zeit genug. Was sich so als nicht richtig erwies, die erträumten Honigmassagen fanden gar nicht mehr statt, die Kosmetikerin hatte auch nicht mehr als einen Termin für mich und der Krankengymnast kam auf ganze drei manuelle Therapien und eine Fußreflexzonenmassage. Ich ergatterte noch drei Heilerdepackungen. Personalmangel und Corona hatten auch hier zugeschlagen. 

Eigentlich wollte ich mich nicht nur quälen, sondern vor allem Wellness für die Seele. Das kam hier entschieden zu kurz. 

Ansonsten hatte ich einen Terminkalender wie ein Top-Manager: Aquajogging, Kochkurs, Ernährungsberatung, Wassergymnastik, Qigong, Pilates, Shihatsu, Vorträge – ein Termin jagte den anderen. Und dazu kamen noch die Regularien: Täglich einen Einlauf zur Darmreinigung, dreimal in der Woche Wiegen und Blutdruckmessen, mittags einen Saft trinken, danach einen Leberwickel bekommen und abends eine klare Gemüsebrühe zu sich nehmen.  Beim Saft- und Brühefassen habe ich sehr nette und interessante Menschen kennengelernt, so dass die gemeinsamen Mittage und Abende die Highlights des Besuches wurden. 

Nach einer Woche bin ich gespannt auf die Waage gestiegen. Wow! Sechs Kilo abgenommen. Wahnsinn! Ach, was war ich stolz. Zusammen mit drei Frauen, die ich beim Saft-Brühe-Fassen kennengelernt hatte, bin ich nach Hameln gefahren. Tapfer haben wir in einem Café allen Verlockungen der Konditorkunst widerstanden und uns jeweils einen Tee bestellt. Wir waren Heldinnen!

Vor dem Café in Hameln
Wir waren Heldinnen!

Am Montag drauf schüttelte die Waage bedauernd ihren Kopf. Ich hatte gerade mal 200 g abgenommen. Dabei war ich so brav gewesen. Obwohl – Hunger hatte ich eigentlich nie. Bei einem Besuch in Bad Pyrmont merkte ich allerdings, dass ich doch ganz schön wackelig auf den Beinen war. Am Mittwoch beim Wiegen hätte ich dann fast geheult. Ich hatte nichts abgenommen. NICHTS!  

Zwischen meinen Terminen telefonierte ich mehrmals am Tag mit Mausebär. Und abends brachte der Fernseher böse Nachrichten ins Klinikzimmer. Abstand gewinnen sieht wohl anders aus. 

Am 12. Tag war dann endlich Fastenbrechen angesagt. Morgens gab es in Wasser eingeweichte Pflaume. Man musste während der „Mahlzeiten“ in einem ungemütlichen, kalten Speisezimmer sitzen, allein am Tisch und es gab die gleiche Gemüsebrühe wie vorn bei den Kolleginnen, aber mit geraspeltem Gemüseinhalt. Schade, ich hatte mich so auf das Kauen gefreut. Am 12. Tag gab es auf diese Art 600 Kalorien, am 13. und 14. Tag 800 kcal. Nein, geschmeckt hat mir die „Vollwertküche“ nicht. 

eingeweichte Pflaume
Fastenbrechen

Also freute ich mich darauf, endlich nach Hause zu kommen. Am Montag vor meiner Abreise hatte ich dann tatsächlich 200 g zugenommen. 

Würde ich das nochmal machen? Bis zu den Fastenbrechtagen hätte ich gesagt: Ja, ganz sicher. Aber diese vegane Mangelernährung hat mir den Rest gegeben. Langsam bekam ich Aggressionen. 

War das nicht alles ein ziemlicher Humbug? Buchinger ist hier Doktrin, egal ob die Erkenntnisse veraltet sind oder nicht. Sogar die deutsche Gesellschaft für Ernährung bestätigt, dass Kaffee nicht schädlich ist und nicht entwässert und somit zur täglichen Flüssigkeitszufuhr dazugezählt werden kann. 

Dass man nach dem Essen eine halbe Stunde warten muss, bis man ein Schluck Wasser trinken darf, erinnert mich an meine Kinderfreundin Steffi, bei denen es auf Anweisung ihres Vaters (unseres Hausarztes) nichts zu Trinken zum Essen gab. Dabei ist das ebenfalls veralteter Mumpitz und von Wissenschaftlern weltweit widerlegt. 

Die Vitamingläubigkeit vom Onkel Doktor erinnert mich an die Vitaminhysterie meines Vaters, die er in den frühen 60er Jahren aus den USA mitgebracht hat. Solche gepressten Gemüse- und Fruchtsäfte gab es bei uns jeden Morgen zu Hause, Papa hatte meiner Mutter nach seiner Rückkehr aus Amerika einen Entsafter gekauft, wo Mutti jeden Tag Kiloweise Äpfel, Rote Beete, Sellerie und Möhren entsaftete. Dazu warf Daddy noch täglich Vitaminpillen hinterher. Wobei ich in der Zwischenzeit von Ernährungwissenschaftlern gelernt habe, dass eine ausgewogene Ernährung uns genügend Vitamine und Mineralstoffe liefert und überschüssige Vitamine nicht gespeichert, sondern ungebraucht ausgeschieden werden. 

Ob die tägliche Darmreinigung mittels Einlauf wirklich so gesund ist, wage ich auch ohne Wissenschaftler zu bezweifeln. Natürlich ist sie jedenfalls nicht. 

Zwei Dinge haben mich an der Buchingerklinik gestört. Das Personal hatte zum Teil sichtbare Speckrollen (nicht nur der fettleibige Arzt, sondern zum Beispiel auch die Sporttrainerin) und das gesamte Gebäude muss abgerissen und erneuert werden. Das sollte schon vor zwei Jahren geschehen, aber wissen Sie, „Corona“. Ich schaute auf den verschlissenen, dreckigen Teppichboden im Fahrstuhl, ca. 1,5 qm, die hätte man vielleicht trotz Corona erneuern können. Mitfastende haben mir zu meiner Klinikwahl gratuliert. „Überlingen und Marbella sind viel zu Schickimicki, da ziehen sich die Frauen für eine Brühe um. Russen, Araber und kiloweise Gold. Und am Bodensee ist im Februar sowieso nur Nebel.“ Also alles richtig gemacht? Was mir allerdings in Bad Pyrmont gefiel, war die entspannte Atmosphäre, man war casual unterwegs.

Das Fazit meines Besuches wollte ich aber erst stellen, nachdem ich wieder im Alltag angekommen war. Die Frage aller Fragen lautete nämlich: Wie viel hast du in den zwei Wochen tatsächlich abgenommen? Ganz ehrlich? 2 Kilo. Alles andere ist, obwohl ich weiter eine 800 Kalorien-Diät mache, wieder drauf. „Aber es hat doch trotzdem gut getan“, fragte mich die Schwester, die mich am letzten Tag gewogen hat. Hat es? Habe ich in Bad Pyrmont das gefunden, was ich gesucht hatte: Ruhe und Erholung, Rückbesinnung auf sich selbst? 

Juhu, ich fahre nach Hause.

Ich war froh, wieder zu Hause zu sein: bei meinem geliebten Mann namens Mausebär und unserer Katze Schnickschnack.