Seit über einem Jahr befinden wir uns im Krieg – eigentlich im Krieg gegen ein Virus, das bisher mehr als drei Millionen Tote gefordert hat. Ich habe mal in Soziologie gelernt, dass ein gemeinsamer Feind ein Volk eint. Die ganze Welt hat einen gemeinsamen Feind, aber entgegen aller soziologischer Weisheit liegen nicht nur Länder miteinander im Streit, sondern gefühlt jeder mit jedem.
Ich kann das Genöle kaum noch ertragen: Die einen wollen hüh, die anderen hott, die einen finden die Maßnahmen zu schwach, die anderen zu heftig, einig ist man sich nur darin, alle Schuld auf die Politik zu schieben.
BITTE HÖRT AUF!
So kann man keinen Krieg gewinnen. Stellt euch mal vor, es würde einen Krieg zwischen zwei Ländern geben, so einen ganz altmodischen, mit Flugzeugen, Schiffen und Kanonen in den Feldern. Millionen Tote auf beiden Seiten. Aber die Generäle, die sagen müssten: Da geht es lang, stoßen auf meuternde Truppen. Anstatt die Reihen zu schließen, strategisch die Angriffe aufbauend auf allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu planen, schießen alle wild um sich und meist aufeinander. Die Opfer sind daher groß, auch und vor allem durch friendly fire.
Fast ein Jahr lang habe ich mich über Ministerpräsidentenrunden geärgert, deren Ergebnisse bereits einen Tag vorher von den Medien zerredet wurden, mich am Tag des Stattfindens dem Bett ferngehalten haben und einen Tag später von so manchem Ministerpräsidenten ad absurdum geführt wurden. Jetzt diskutiert sich der Bundestag zu Tode über eine Notbremse, die wir wohl dringender brauchen denn je. Jeden Abend werden in irgendeiner Talkshow die immer gleichen Protagonisten der immer gleichen Meinungen aufeinander losgelassen, wir kennen ihre Argumente, wir können ihre Einlassungen bereits singen. Aber die Medien feuern sie an, als ob es sich um die Weltfestspiele der Meinungsvielfalt handeln würde.
Auf facebook oder twitter beleidigen sich die Menschen gegenseitig und Prof. Youtube weiß sowieso alles besser. Querdenker sollen jetzt gar vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Es gibt nicht mehr unseren gemeinsamen Krieg, sondern nur noch „Mein Kampf“. Die einen glauben, dass ihre Kinder den Anschluss verpassen und traumatisiert werden, die anderen sind traumatisiert, weil sie nicht gleichzeitig Home Office und Kindererziehung auf die Reihe kriegen. Die nächsten sind traumatisiert, weil sie ihren dringend benötigten Urlaub nicht antreten können, wieder andere fühlen sich ungerecht kritisiert, weil sie ihren vermeintlich dringend benötigten Urlaub ohne Rücksicht auf Verluste antreten. Junge Leute meinen, die besten Jahre ihres Lebens zu verpassen, alte Leute altern mangels Kontakten doppelt so schnell und Todkranke fühlen sich um ihre letzten Monate betrogen.
Was für eine hysterische Welt!
Die, die wirklich Grund hätten zu meckern, die Künstler, die Veranstalter, die Gastronomen, die kleinen Geschäftsleute, die hört man kaum, weil sie viel zu erschöpft sind, ihren Kopf über Wasser zu halten, als dass sie noch große Kraft zum Meckern hätten. Sie beißen die Zähne zusammen und verfallen in Duldungsstarre.
Statt diesen tapferen Kämpfer in den Schützengräben der Städte zu helfen und uns so schnell wie möglich impfen zu lassen, diskutieren wir auch das wieder zu Tode. Da weigern sich über 60jährige sich mit AstraZeneca impfen zu lassen und denken nicht eine Sekunde daran, dass sie einem Jüngeren damit eine BionTech-Impfung wegnehmen und das Tempo der Impfkampagne drosseln.
Andererseits wird täglich in den Medien beklagt, dass Deutschland nicht Impfweltmeister ist. Wie jetzt, wir sind nicht Klassenbester? Katastrophe! Was interessiert es uns, wie viele Leute in Ghana geimpft sind, wir schielen auf Israel oder die USA und sind sauer. Die sind ja besser als wir. Dass Viren keine Grenzen kennen, scheint sich bis in die deutschen Medien noch nicht rumgesprochen zu haben.
Ich habe mein ganzes erwachsenes, politisches Leben lang FDP gewählt. Weil ich auf die Eigenverantwortung jedes Menschen gesetzt habe. Freiheit war für mich das höchste zu verteidigende Gut. Die allerdings da aufhört, wo die Freiheit eines anderen eingeschränkt wird. In Zeiten von Corona habe ich gelernt, dass ich mich in den Menschen geirrt habe. Jeder ist sich selbst der Nächste, Eigenverantwortung gehört ins Reich der Märchen und Sagen. Unserer Gesellschaft ist das soziale Denken abhanden gekommen.
Ich glaube, in Zeiten von Krisen brauchen wir keine Politiker, die die Kakophonie der Meinungen moderieren, sondern Generäle, die sagen, wo es lang geht. Denn es ist egal, in welche Richtung wir marschieren, ein Teil der Bevölkerung wird es immer für den falschen Weg halten. Hauptsache ist: Die Reihen sind fest geschlossen.