Sorry, ich bin glücklich

 

Wenn man morgens die facebook-Nachrichten liest, könnte man meinen, der dritte Weltkrieg sei ausgebrochen. Allenthalben stöhnen und weinen die Menschen, die Welt sei ja sooo schlecht, alles eine furchtbare Tragödie, man könne sich schon gar nicht mehr richtig freuen. In Berlin wird an einer Schule ein Trauerraum eingerichtet, die Schüler werden psychologisch betreut, weil eine Lehrerin und zwei Abiturienten in Nizza verschollen sind. Tragisch, ja. Aber die heulenden Kinder kannten die Abiturienten wahrscheinlich nicht mal vom Sehen. Hysterisches Geheul allenthalben, Kerzen, Blumenmeere, wir sind kollektiv traumatisiert.

Ich sehe es, ich lese es, aber ich fasse es nicht. Wenn ein von mir geliebter Mensch stirbt, dann trauere ich. Wenn ein guter Bekannter plötzlich stirbt, bin ich entsetzt. Aber ganz bestimmt nicht traumatisiert. Ich argwöhne, dass sich da in den letzten Jahrzehnten ein Berufszweig ein stetig wachsendes Einkommen gesichert hat: die Psychologen. Keine Horrormeldung in den Nachrichten, die nicht mit: „werden psychologisch betreut“ geschlossen wird. Na, dann ist ja alles gut. Oder?

Wann eigentlich hat dieser ganze Wahnsinn angefangen? Ganz sicher gab es diese Massenhysterie schon vor facebook. Ich vermute, diese kollektive Traumatisierung ging einher mit dem Heranwachsen einer Generation, die meint, dass man im Leben einen Anspruch auf Glück hat. Dass Glück etwas absolut Selbstverständliches sei, eine Ressource wie Luft oder Wasser, die jedem Menschen gefälligst zur Verfügung zu stehen habe. Wir scheinen vergessen zu haben, dass Glück nicht kollektiv sondern individuell ist. Es gibt Menschen, die sind begabt für Glück. Andere nicht. Die, die nicht dafür begabt sind, sind auch nicht unglücklicher. Denn die Nichtbegabten suhlen sich voller Wonne in ihrem vermeintlichen Unglück. Glück ist ubiquitär, nur wir nehmen es unterschiedlich wahr. Es gibt kein Dauerglück. Glück, das sind einzelne, faustische Momente „verweile doch, du bist so schön“. Wenn man sich allerdings den Blick für das Glück verstellen lässt, dann wird man es auch nicht erkennen, wenn es kübelweise über einem ausgeschüttet wird.

Vielleicht benötigt man zum Annehmen von Glück die Erfahrung von Unglück. Zum Beispiel der Tod eines geliebten Menschen. Um zu wissen, dass es Glück bedeutet, wenn man morgens gemeinsam aufwacht und gemütlich eine Tasse Kaffee zusammen trinkt. Zum Beispiel wirtschaftliche Not. Um zu wissen, dass es Glück bedeutet, keine Mahnung im Briefkasten zu haben. Zum Beispiel Krankheit. Um zu wissen, dass es Glück bedeutet, nicht mehr als erträgliche Schmerzen zu haben. Zum Beispiel Krieg. Um zu wissen, dass es Glück bedeutet, in einem friedlichen Land zu leben. Zum Beispiel Diät. Um zu wissen, wie gut ein Schokotörtchen wirklich schmeckt. Nicht umsonst leben in den ärmsten Ländern die glücklichsten Menschen. Vielleicht, weil sie nichts als selbstverständlich ansehen. Ja, die Welt ist grausam, es laufen viele Verrückte da draußen herum, das tun sie nicht nur heute, das taten sie schon immer. Deshalb brauche ich mich nicht dafür zu entschuldigen, dass ich glücklich bin.

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