Einladung zum veganen Gänseessen

Wie schön war es doch früher bei meinen Großeltern zu Weihnachten: Ein wunderbarer Duft erfüllte das Haus wenn Oma in ihrem überdimensionalen Kohleherd vier Gänse gleichzeitig zubereitete. Während wir Enkelkinder lärmend im Keller spielten, brachten die Frauen die dampfenden Schüsseln mit Rot- und Grünkohl, mit Kartoffeln, Klößen, Bratäpfeln und Sauce in das Berliner Zimmer, wo die Tafel mit weißem Damast und Goldrandgeschirr gedeckt war. Zu Weihnachten waren wir immer mindestens 20 Personen bei Tisch. Oma kam aus dem Memelland und ihre Küche war schwer, fettig und noch Jahrzehnte Famlienlegende.

Abgesehen davon, dass kein moderner Haushalts-Herd 20 Personen mit Gänsen versorgen könnte, sind solche Weihnachtessen heute nicht mehr machbar. Fünfundzwanzig Jahre später habe ich selbst mal die übriggebliebene Berliner Mischpoke zum Gänseessen eingeladen. Nach dem Essen lagen meine Anverwandten auf meinen Sofas, schluckten Galle- oder Säuretabletten, verlangten lauwarmes Fachinger, Kaffee Hag und stöhnten. Ich schob es damals auf das Alter.

Jetzt, wo ich selbst alt geworden bin, kann ich froh sein, dass meine Familie inzwischen überschaubar ist. Essen für mehr als sechs Personen überfordert meine Managementqualitäten und ist eine echte logistische Herausforderung. Denn ein Festmenü für alle geht nicht mehr.

Das fängt schon bei der Vorspeise an. Ein Süppchen würde sich anbieten, aber das ist entweder aus Fleisch, also nichts für Vegetarier, oder auf Gemüsefondsbasis, das ist nichts für die mit Glutenintoleranz oder Abscheu gegen Ingwer. Also vielleicht einen erfrischenden Salat – aber bitte ohne Weinessig, der bekommt unserem trockengelegten Alkoholiker nicht und der Onkel schiebt den Teller angewidert von sich: „Bin ich ein Kaninchen, oder was?“ Fisch geht auch nicht, da heult der Veganer und der eigene Mann kann den Geruch in der Küche nicht ertragen.

Noch schlimmer wird es bei der Hauptspeise. Die Gans kann man gleich weglassen, von wegen Vegetarier und Veganer, aber auch wegen der Freundin mit den Gallensteinen und dem Freund mit dem halben Magen. Dabei kennt man die Gans sogar mit Vornamen, schließlich hat man die direkt von einem regionalen Erzeuger auf einem Biobauernhof gekauft. Rotkohl schmeckt sowieso nur mit viel Schmalz und Rotwein, was wegen des Alkoholikers und der Veganerin nicht geht und dann ist da auch noch die Freundin mit der Histamin Intoleranz. Der Grünkohl ist für den Gallenkranken absolut Kolik verdächtig, „außerdem ist da ja Speck drin“, schimpft der Vegetarier. Nur von den Kartoffeln können allen bedenkenlos essen. So ganz ohne Sauce schmecken die natürlich nicht, die hat aber so viele Kalorien, dass die Frauen sie lieber ganz weglassen ebenso wie die mit der Glutenallergie und auch für die Veganer „geht das ja gar nicht“.

Bei der Nachspeise wird es ebenfalls schwierig. Die Nussallergie der Tante verbietet alle jahreszeitlichen Parfaits, die Vollkorntarte ist nicht jedermanns Sache und der Rest, der einem für die Nachspeisen noch einfällt, ist absolut nicht laktosefrei. Dabei hat man schon das Süßen mit Stevia perfektioniert, weil der Mann Diabetiker ist. Die Freundin mit der gespendeten Niere darf keine Südfrüchte essen, so dass auch Sorbets ausfallen.

Und so stellt sich Jahr für Jahr die gleiche Frage zu Weihnachten: Was koche ich diesmal? Vielleicht Soja-Medallions oder Tofu-Ecken? Hirsetürmchen mit Rotkrautsalat? Dinkel-Canneloni mit Pilzfülle? Ich will aber Gans! Ach, lasst uns einfach essen gehen.

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