Und Gott schielte, als sie die Welt erschuf

Gemeinhin stellt man sich das Leben eines Autors ziemlich gemütlich vor. Nach einem ausgiebigen, späten Frühstück setzt er sich vor den Computer und füllt Seite für Seite mit dem, was er sich ausgedacht hat. Der Autor erschafft eigene Welten, darf den ganzen Tag „Lieber Gott“ spielen.

Dass „Lieber Gott“ ziemlich anstrengend ist, weiß man erst, wenn man es mal selbst versucht. Oh doch, man füllt ganz locker Seite für Seite, mit dem was man sich ausgedacht hat. Allerdings hat die „Liebe Gott-Nummer“ einen Haken. Es reicht nämlich nicht, eine gute Geschichte zu haben, interessante Menschen zu erschaffen, in fremde Welten einzutauchen. Und es reicht verdammt noch mal nicht aus, Seite um Seite zu füllen. Ich weiß wovon ich rede, ich habe gerade 200 Seiten lang „Lieber Gott“ gespielt und bin meiner Geschichte nicht einen Millimeter näher gekommen. .

Wovon der Dichter schweigt: Nein, ich sitze nicht nur locker auf dem Hocker, sondern tigere wie eine Bekloppte durch die Wohnung, auf der Suche nach einer Ladung Wäsche für die Waschmaschine, nach schmutzigen Tassen für den Geschirrspüler, nach Blumen, die gezupft und begossen werden müssen. Ich renne wie blind durch den Supermarkt, kaufe ein, was mir vor die Linse kommt und bin mit meinen Gedanken in meinem „Paradies“. Allerdings nach dem Sündenfall. Adams Apfel ziert jetzt das Smartphone.

Diese Phase des sich Quälens mit einer Geschichte habe ich wahrscheinlich bei jedem Buch. Das Baby muss unter Schmerzen geboren werden. Aber diesmal quäle ich mich schon viel zu lange – eigentlich sollte das Buch bereits fertig sein. Doch diesmal ist alles anders. Denn ich schreibe nicht einfach ein Buch. „Kudamm 216“ soll eine Serie werden, die meine Leser nicht mehr loslassen soll, ich will, dass sie regelmäßig zu Besuch kommen, sich dort bald wie zu Hause fühlen. Ich habe die Latte für mich selbst also ganz schön hoch gehängt.

So eine Serie muss funktionieren. Immer. Mit jeder Geschichte, die ich mir in ein, zwei oder drei Jahren ausdenken werde. Ich muss mit diesem Personal für einige Jahre leben, ich muss meine Menschen, die ich erschaffe, einfach lieb haben, sonst hält man das als Autor nicht aus.

Ein Lektor schrieb mir einmal folgenden, inhaltsschweren Satz: „Schrift kann man so oder so stellen.“ Recht hat er, man kann auch so oder noch ganz anders. Es ist alles eine Frage der Perspektive!

Wer erzählt die Geschichte und wie. Das ist die zentrale Frage. Ich habe für jeden meiner Protagonisten (und nicht nur von dem Serienpersonal) eine ausführliche Biografie, es gibt Timetables für was passierte wann und wo, es gibt einen Szenenplan, es gibt einen gezeichneten dramaturgischen Aufbau, es gibt einen zusammengeschmorten Plot auf vier Seiten, es gibt sogar ein Schaubild, wer mit wem und weshalb. Sol Stein wäre sowas von stolz auf mich. Und trotzdem kriege ich die Geschichte nicht in den Griff, sie glibbert mir wie Eiklar immer wieder aus der Hand.

Was also ist das Problem? Gott schielte, als sie die Welt erschuf!

Ich bin ein Ich-Schreiber. Ich liebe es, meinen Protagonisten meine eigene Stimme zu geben. Innenansichten zu zeigen. Ich liebe durchaus auch einen leicht narrativen Ton, ja, ich weiß, das ist ziemlich altmodisch, aber meine Leser scheinen diesen Ton mehrheitlich auch zu mögen. Dieser Ton ist der richtige für einen Private-Eye-Krimi, die großen Private-Eyes sind im übrigen alle in diesem leicht lakonischen Ton geschrieben, den ich selbst so sehr mag.

Also habe ich Judith, arbeitssuchende Journalistin mit Ambitionen auf den Pulitzer-Preis zu meiner Stimme gemacht. Sie kann mit ihrer wunderbaren Berliner Schnauze über alles und jeden vom Leder ziehen. Dass das Nachteile für die Serie hat, war mir von Anfang an bewusst. Denn natürlich kann man in der Ich-Perspektive immer nur das zeigen, was die Protagonistin gerade erlebt, hört, erfährt etc. Das geht auf Kosten der Spannung.

Na gut, dachte ich, man kann ja die 3. Person-Perspektive dazu nehmen, haben andere auch schon gemacht, auch ich habe das in „Der 7. Tag“ getan. Wofür hat man seine kleinen Tricks aus der schriftstellerischen Zauberkiste.

Bereits beim Schreiben der Biografien habe ich gemerkt: Da ist eine Person, die mich besonders interessiert. Sie ist abgründig, hinterhältig, boshaft, pervers. Bereits das Schreiben ihrer Biografie hat Spaß gemacht. Das war mein Ton. Also habe ich ein paar Kapitel aus der Ich-Perspektive dieser Person geschrieben. Wunderbar, das flutscht, ich bin drin in der Geschichte. Nur wie zum Teufel, soll ich das ins Buch einbauen? Die Frau reflektiert Dinge, die sie freiwillig niemandem erzählen würde. NIEMALS! Und niemand kann ihr auf die Schliche kommen, wenn sie es nicht erzählt.

Zwei Ich-Perspektiven? Man sollte seine Leser nicht überfordern! Und die Kollegen von Judith, mein zauberhaftes Personal vom Kudamm 216? Alles in der 3. Person. Na klar. Oder auktorial? Ich lese selbst nicht gerne Bücher von allwissenden Autoren, also lassen wir das.

Und so quäle ich mich von Tag zu Tag von Seite zu Seite, ich schreibe weiter nach dem ursprünglichen Plan, denn ich habe ja keine Schreibblockade. Das, was ich schreibe ist auch gut, ja, es liest sich schön. Aber die Spannung wird der Roman aus Informationen beziehen, die der Leser bekommt, die die Protagonisten vom Kudamm 216 noch nicht haben, d.h. meine Leser müssen immer ein ganz klein wenig mehr wissen als Judith & Co. Eine ziemlich komplizierte Konstruktion, aber so sind Krimis nun mal aufgebaut.

Nachts liege ich wach und probiere im Kopf unterschiedliche Zaubertricks aus. Das geht seit Wochen so. Ich esse zu viel, ich trinke zu viel, meine Wohnung ist zwangsgestört aufgeräumt, ich facebooke zu viel – kurzum, ich bin verzweifelt. Und dann kommt er, wie er immer wieder kommt, jener magische Moment, in dem man endlich die Lösung für alle Probleme sieht. Eine einfache Lösung, so einfach, dass man monatelang nicht daran gedacht hat.

Heute früh wachte ich auf und dachte: Wieso quälst du dich so, mach es dir doch einfach. Wen interessiert die Innenansicht von Judith, die Leser werden Judith auch lieben, wenn sie in der 3. Person die Leser an ihrer Weltsicht teilhaben lässt. Aber Judith hat noch keine großen Geheimnisse, die sie vor der Welt unbedingt verbergen muss. Sie ist viel zu jung, um wirklich abgründig zu sein, viel zu lieb, um interessant zu sein. Sie ist eine mit normalen Problemen, eine, mit der sich die Leser identifizieren können.

Erzähl die geheime Geschichte von einem der Betroffenen eines Verbrechens aus seiner Perspektive. Vorzugsweise aus der Sicht von jemandem, der außergewöhnlich, kriminell, hinterhältig, bösartig aber dadurch eben auch faszinierend ist. Und so eine Person braucht jeder Krimi, damit mache ich mir die Serie nicht kaputt, sondern ermögliche sie. Das nächste mal wird einfach ein anderer Protagonist aus der Ich-Perspektive erzählen. Das muss nicht der Täter sein. Und der Protagonist darf sogar nach Herzenslust sich selbst belügen.

Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht, scheint wohl mein Lebensmotto zu sein. So jetzt aber:
Kudamm 216, ich komme!

4 thoughts on “Und Gott schielte, als sie die Welt erschuf

  1. Geht mir gerade genauso: zuviel Information (tödlich!), zuviele Handelnde (unübersichtlich), zuviele unverdauliche Fakten, und ich muss das Ding, das im Januar hätte fertig sein sollen, dauernd wieder umschreiben.

    Verblüffend, wieviel auf einmal zu tun ist. Rasen muss gemäht, die hintere Wand (die Wetterwand) braucht dringend einen Anstrich, auf Facebook warten alle auf meine hochgeschätzte Meinung und wir haben die Kinder auch schon lange nicht mehr besucht.

    Schreibblockaden gibt es nicht, wie wir alle wissen, aber es gibt Situationen, die dazu verlocken, einfach alles auf die hintere Kochplatte zu stellen und auffem großen Brenner etwas neues aufzusetzen.

    Und dennoch: spät wird´s kommen, aber es kommt. Und … wer sich Zeit nimmt, der wird ein besseres Buch abliefern.

    Hoffen wir.

  2. Ja Peter J. Kraus,

    Zeit nehmen, das ist das Schlüsselwort. In anderen Schreiberbranchen ist es schon verwerflich, wenn man jedes Jahr ein Buch herausbringt, das kann ja nicht gut sein. Aber im E-Book-Business hat man das Gefühl, dass man alle 6 Monate etwas veröffentlichen muss, sonst vergessen dich die Leser. Wir müssen uns dazu zwingen – gut Ding will Weile haben und es ist bestimmt besser, lieber ein gutes Buch als drei mittelmäßige zu veröffentlichen. Aber das muss man sich täglich neu sagen. Ich habe Zeit. Ich will ein gutes Buch schreiben. Meine Leser müssen begeistert sein. Und alles halbherzige, lauwarme sofort in die Tonne treten.
    Theoretisch!
    Liebe Grüße nach Arizona
    Nika

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