„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“, hat 1965 Degenhardt gesungen. Ganz so alt ist „Der 7. Tag“ nicht, aber er ist mein geliebtes Schmuddelkind. Schmuddelkinder sind die, die uns magisch anziehen, die einen gewissen Zauber auf uns ausüben, weil sie so ganz anders sind als wir selbst. Und weil wir mit ihnen nicht spielen DÜRFEN. Verbote machen sexy.
1999. Was für ein Jahr. Das lass‘ ich jetzt Mama erzählen, sie redet so gern.
„Eigentlich“, sagt Mom, „war ich völlig fertig. 1998 war das schwierigste Jahr meines Lebens. Ich hatte zwei Jahre Tag und Nacht und jedes Wochenende an dem größten, unmöglichsten und schwierigsten Auftrag meines Lebens gearbeitet.“
Mit Erfolg, wie wir wissen, aber das nur am Rande. Erzähl weiter, Mutti.
„Ende des Jahres, mitten im Showdown meines Auftrages, wurde meine damals 80jährige Mutter von einem Tag auf den anderen auch noch völlig dement und hilflos, mein Vater weilte in Amerika. Ich tanzte mit einem Arm auf fünf Hochzeiten. Nur nicht auf meiner eigenen, die ich wegen des großen Auftrages immer wieder verschoben hatte. Als alles überstanden war, fuhren dein Vater und ich Anfang 1999 nach Amerika, um zu heiraten.“
Las Vegas. Typisch Mom.
„Zurück in Deutschland versuchte ich, mich einfach wieder aus meinen Einzelteilen zusammenzusetzen. Wir wohnten in einer alten Zehlendorfer Villa und mein Schatz hatte mir einen Gartenraum eingerichtet, den ich mein „Treibhaus“ nannte. Ursprünglich wollte ich dort Pflanzen ziehen für unseren riesigen, wunderschönen Garten, der leider ein Molloch war, was Pflanzen betraf. Aber dann stellte ich mir einen alten Holztisch an das vergitterte Souterrainfenster, einen von meinen Katzen zerfetzten Korbstuhl davor und meinen Laptop auf den Tisch. Und schrieb einen Prolog. Zu einem Roman, von dem ich nicht mal im Ansatz eine Vorstellung hatte, wovon er handeln sollte. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, ich hatte ihn nicht geplant, es gab nur diesen Prolog.“
Den gibt es noch heute. Hast du ihn verändert?
„Nein. Der Prolog blieb wie er ist. Ich habe einfach weiter geschrieben. Seite für Seite. Ich lebte ja in diesem tollen, alten Haus, wenn auch nur zur Miete, und Sybille Thalheim wurde so etwas wie mein Alter Ego. Ich habe mit ihr gelebt, mit ihr gelitten und wusste im Ernst nicht bis zum 7. Prozesstag, was eigentlich passiert war.“
Wie jetzt, du hattest keinen fertigen Plot?
„Nein. Ich hatte absolut keinen Schimmer, wo Michael war, was mit ihm hätte passiert sein können. Ich litt einfach zusammen mit Bille, heulte, schrie, war verzweifelt.“
Mom, meine Dramaqueen. Und wie hast du dann die Kurve gekriegt?
„Igendwie entwickelte sich der Plot. Wenn man schreibt, dann verarbeitet man wohl bewusst oder unbewusst Erlebnisse aus seinem Leben, setzt sie neu zusammen und heraus kommt ein Roman. Während sich das entwickelte redete ich mit meiner Freundin Barbara Falley, die Gynäkologin ist. Und mit meinem Notar Wolfgang Franke. Mit dem Strafverteidiger Wolfgang Panka. Und mit meinem Mann, der ist schließlich Immobilien- und Anlageprofi. Ich fuhr in die Justizvollzugsanstalt Pankow und bekam eine wunderbare Führung und Nachhilfe von Gabriele Kux, der Vollzugsleiterin. Die Journalistin Brigitte Biermann gab mir ebenso wichtige Hinweise wie meine sehr geschätzte Kollegin Manuela Gerhard. Ich zog mir einen Mordprozess vor dem Schwurgericht Berlin rein. So ein armes Schwein von indischem Blumenhändler hatte seine Frau zerstückelt. Ich lebte fast das ganze Jahr 1999 mit den Thalheims. Sybille gehörte sozusagen zur Familie. Ende des Jahres war der Roman fertig. Korrektur gelesen.“
Jetzt wird’s spannend.
„Ja. Ich wollte auf Nummer sicher gehen. Denn mir war schon klar, dass ich eine ziemlich komplizierte Struktur für die Geschichte gewählt hatte.“
Gewählt?
„Äh, also, die sich mir aufgedrängelt hat. Also habe ich im Internet nach einem freien Lektor gesucht, der mir die Schwachstellen in dem Manuskript aufzeigen sollte. Den habe ich engagiert.“
Und, wie war er?
„Ich habe seitdem nie wieder einen Kriminalroman geschrieben.“
Wie bitte?
„Der Lektor hat mich von Seite 1 bis Seite 189 niedergemacht. Über 200 Anmerkungen. Das fing bereits auf den ersten Seiten an. Beispiel: Ich beschreibe die Richter und Schöffen. Einen beschreibe ich als Typ genialer Versicherungsmakler. Da schreibt der Lektor daneben: Während sie in Absatz 4 bereits alle Beamten verloren haben, verlieren sie hier gerade alle Versicherungsmakler. Bei der Stelle mit der Katze vom Nachbarn schreibt er: Ah, ein Licht am Horizont, da blitzt ja doch etwas Lebendiges durch. Und unter die Danksagung am Schluss an die o.g. Protagonisten schrieb er: All diese Experten haben diesen Schwachsinn zugelassen?“
Oh je. Deine arme Autorenseele.
„Ich war völlig am Boden zerstört. Vor allem, weil er mir nachweisen wollte, dass der Plot so nicht geht. Aber da hatte er sich leider geirrt.“
In allem anderen wohl auch. Was passierte dann?
„Ich habe das Manuskript – unredigiert – an vier Verlage geschickt. Und sehr nette Ablehnungen bekommen, wie „wir haben nicht genug Mittel, uns um junge Autoren zu kümmern, bei einem kleineren Verlag haben Sie sicher eine Chance.“
Du wolltest aber nicht zu einem kleineren Verlag, wie ich dich kenne.
„Nein. Wollte ich nicht. Außerdem war ich so verunsichert, dass ich angefangen habe, Sachbücher zu schreiben. Sozusagen ohne Überleitung.“
Die du ja dann auch gut verkauft hast.
„Genau. Der 7. Tag verschwand in der Schublade. Aber immer, wenn ich an dieses Manuskript dachte, dann wurde mir ganz warm ums Herz. So, als ob man an eine alte Freundin aus Kindertagen denkt, eben das Schmuddelkind, mit dem man eigentlich nicht spielen durfte.“
Na, jetzt macht dein Schmuddelkind aber ordentlich Karriere.
„Ja, ich könnte heulen vor Freude. Es geht gar nicht um das Verkaufen. Es geht darum, dass inzwischen mehr als 10.000 Menschen meinen 7. Tag haben wollten. Dass Sybille endlich Menschen bekommt, die mit ihr leiden.“
Du hast mir beigebracht, dass jedes Negative im Leben auch immer etwas Gutes hat. Was war jetzt gut daran, dass ein Lektor wie ein Elefant im Porzellanladen in deiner Seele rumgetrampelt ist?
„Ich habe mich noch in diesem Jahr fiction-writing, einer neugegründeten Schreibgruppe im Internet, angeschlossen. Wir haben jeden Monat eine Kurzgeschichte geschrieben und uns dann gegenseitig rezensiert. Das war eine unglaublich schöne, produktive Zeit, in der ich viele tolle Leute kennengelernt habe, mit denen ich teilweise noch heute Kontakt habe. Ich habe alle Bücher gelesen, die ich über Aufzucht und Haltung eines Romans in die Finger kriegen konnte.Ich habe internet-Kurse über Dramaturgie etc. mitgemacht. Ich habe geübt, gelernt und mich mit andern Schreiberlingen ausgetauscht. Viele Jahre lang.“
Und dann?
„Habe ich Sachbücher geschrieben. Einen Social Fiction Thriller. Kriminalromane habe ich angefangen. Vier Stück, eine Serie. Aber nie zu Ende geschrieben. Die Worte des Lektors hatten sich wie Säure in meine Seele geäzt.“
Mama, ich liebe dich!
Ich dich auch, meine Kleine!
Meinen aufrichtig herzlichen Glückwunsch zur #1 der Gesamtwertung! 🙂
Sehr cool… 😉
Vielen lieben Dank, liebe Eva-Maria Kurtz. Ich bin auch noch ganz aus dem Häuschen!
Ich bin ein Norwegischer Verleger, der mit Bewunderung und Freude Den 7. Tag auf meinem Kindle gerade gelesen habe und sehr gern in Verbindung mit Ihnen kommen möchte. In Amazon habe ich ja aber nicht Ihren richtigen Namen oder irgendwas finden können … (Wir sind klein, haben aber unter anderem mit grossem Erfolg „Die Dienstagsfrauen“ von Monika Peetz in Norwegen verlegt.)