Nika verzweifelt gesucht ? kurz vor Weihnachten bekam ich innerhalb von drei Stunden von allen Seiten Suchmeldungen. Typisch Journalisten, wenn man nicht direkt vor dem Rechner und neben dem Telefon sitzt, dann werden gleich schwere Suchgeschütze aufgefahren: Kollegen werden angebeamt, alle verfügbaren Mailboxen gefüttert und so ein Anrufbeantworter hat ja auch noch Platz. Die Deutsche Welle wollte also ein Interview. Wenn es weiter nichts ist?
Nun kennt man die Deutsche Welle ja nur aus dem Urlaub. Sie ist so etwas wie der staatliche Gruß der Daheimgebliebenen. Ob Domrep oder Florida, Deutsche Welle TV bringt ein Stück Heimat ins Hotel oder Ferienhaus. Pech nur, wenn man im Gegensatz zur Putzfrau zu Weihnachten und Silvester zu Hause geblieben ist. Die Kollegen wollen natürlich bei mir zu Hause drehen und zu Hause zwei Wochen ohne Putzfrau ist vielleicht was für Big Brother aber nichts für die Deutsche Welle. Also erst einmal aufräumen, Weihnachtsdeko entfernen, saugen, wischen, Staub feudeln. Wie ich es hasse!
Der Dreh ist am ersten Wochentag des Jahres angesetzt und mithin ist die Wohnung nicht nur Weihnachtsdeko frei, sondern auch Silvesterreste clean. Ich bin auch clean, obwohl ich am Neujahrstag nicht nur putzen musste, sondern vor allem mit einem dicken, fetten, langschwänzigen Kater im Clinch lag. Die Aloholrudimente sehen nicht wirklich attraktiv aus unter den Augen, auch wenn meine Vorbedingung war: Nur von der Seite, sonst gar nicht. Aber soll ich Silvester mit Mineralwasser verbringen, nur weil das Fernsehen kommt? Nö.
Was mich wirklich irritiert hat war die Zeitansage. So zwischen zehn und achtzehn Uhr. Acht Stunden? Für ein Interview? Vier Minuten dreißig! Ich bin bestimmt eloquent, aber die Zuschauer viereinhalb Minuten dusselig quatschen? Würde sogar mir schwer fallen.
Was mir der nette Redakteur (der mich bat, seien Namen nicht zu nennen ? warum eigentlich, er war nicht nur nett, sondern auch echt gründlich, konzentriert und höchst professionell) verschwiegen hatte: Eigentlich wollte das Team einen kleinen Tatort drehen!
Vorab wurde abgesprochen, was sie drehen wollten. Ob ich einen Kindle habe. Yes, Sir, mehrere. Welches Schweinderl hätten Sie denn gern? Und wo? Nachdem klar war, dass es jetzt ?Der 7. Tag? auch als Taschenbuch im Handel zu kaufen gibt, wollte man unbedingt in einem Buchladen drehen. Mein Vorschlag: der Buchladen, der im Buch auch genannt wird ? Bille kauft dort das Standardwerk der Schwangerenliteratur ? und den ich auch im Stern-Artikel erwähne. Der Redakteur hat Bedenken, der Laden ist bestimmt klein. Wir sollten in ein großes Kulturkaufhaus. Da doppelt genäht besser hält, bereiten wir ? unabhängig voneinander – den Dreh im Buchladen vor.
Noch vor Weihnachten suchen Menne und ich meinen Buchhändler ?Divan? an der Krummen Lanke auf. Dort herrscht Hochbetrieb, klar, ein paar Tage vor Heiligabend. Zuerst will uns die Dame, die immer noch nicht meinen Namen kennt, obwohl ich viele Jahre dort regelmäßig mit Kreditkarte eingekauft habe, an die Hauptfiliale verweisen. Dann besinnt sie sich anders und verfrachtet uns in den Nebenraum, wo wir darauf warten, dass die Geschäftsführerin sich zu uns bemüht. Ich würde am liebsten weglaufen, mir ist das peinlich, ich fühle mich wie ein Bittsteller. Endlich kommt die Filialleiterin, ich erkläre ihr freundlich, worum es geht und ob wir bei ihr drehen dürften, ob sie selbst auch etwas zum Thema e-books sagen würde. Ich halte ihr die Verlagsvorschau von mvg unter die Nase, daneben das Buch, erwähne, dass ihr Laden darin vorkommt. Sie sagt nach reiflicher Überlegung, ja, das könnten wir schon machen. Ich lasse ihr die Verlagsvorschau da, damit sie auch Bücher bestellen kann, zur Sicherheit bitte ich den Verlag, doch mal 10 Promo-Exemplare rüberzuschicken. Man weiß ja nie?
Der nette Redakteur hat weniger Glück mit dem Kulturkaufhaus seiner Wahl. Dort führe man mein Buch nicht, aber wir könnten zum Dreh ja eins mitbringen, das würden andere Sender auch so machen, verlautete es per E-Mail aus der PR-Abteilung. Also bei Mama hat die Dame jedenfalls nicht gelernt!
Und dann wird es endlich 2013, es klingelt und die Crew von der deutschen Welle steht vor der Tür. Sie sind nett, nicht nur der Redakteur, sondern auch der Kameramann und der Tonmann. Ich meine: richtig nett. Wir besprechen kurz, was alles gedreht werden soll, die Buchhandlung müssen wir zum Schluss drehen. Die Geschäftsführerin der Buchhandlung hat einen Trauerfall und erst am Nachmittag ist das Geschäft wieder mit zwei Mitarbeiterinnen besetzt. Also Buchhandlung später.
Zum Aufwärmen muss ich erst einmal tippen. Jawohl, tippen. Und zwar in meinem fertigen Manuskript, die Kamera ist auch auf meinen Bildschirm gerichtet. Ich tippe also wie ein Weltmeister, der Kameramann dreht, vergisst mir aber zu sagen, wann er aufhört zu drehen, so dass ich da vor meinem Computer sitze und kompletten Schwachsinn in mein Manuskript tippe. Ich weiß nicht, wie lange ich getippt habe, aber es waren bestimmt dreißig Normseiten, bis der Kameramann endlich zufrieden war.
Die nächste Einstellung ist leicht, ich soll einfach im Sessel sitzen und im Kindle lesen. Man glaubt gar nicht, wie schwer es ist, etwas ganz normal aussehen zu lassen, wenn man weiß, dass die Kamera auf einen gerichtet ist. Ich übe also kameratauglich Kindle zu lesen. Wie liest man unaffektiert? Kann man überhaupt unaffektiert sein, wenn man von so einem schwarzen Monster verfolgt wird?
Die nächste Einstellung ist allerdings schwierig. Ich meine, ich habe ein großes Wohnzimmer mit einer riesigen Couch und die Wände voll mit Büchern. Der Kameramann verzieht sich in den Nebenraum und filmt durch die Tür. Typisch Fernsehen, der Raum ist mal wieder einen Meter zu kurz! Der Redakteur sitzt auf dem Fensterbrett und ich hocke mit einer Pobacke auf der äußersten Ecke der Couch. HALT! Das Licht hinten stimmt noch nicht, wir müssen noch ein bisschen was auf die Spitzen geben. Der Hintergrund soll nur diffus sein. Umgekehrt wär‘ mir lieber!
Während des Interviews versuche ich, die Balance zu halten und nicht mit der zweiten Pobacke von meiner riesigen Couch zu rutschen. Außerdem fängt es während des Interviews an zu riechen. Liegt es an den Pizzen, die mein Schatz für das Crew-Catering in den Ofen geschoben hat? Ich versuche, mich auf die Fragen zu konzentrieren. Es riecht wirklich verbrannt! Der Tonmann fummelt mir zwischendurch am Busen rum, weil meine Kette am Mikro klappert. Dabei habe ich mir schon Leichtplastik umgewürgt, damit es einen Farbkontrast gibt ohne zu klappern. Der Tonmann hört zu diesem Zeitpunkt bereits auf Schatzi. Das schätze ich und Männer die vor mir knien sowieso!
Nachdem wir uns zu fünft zwei Pizzen geteilt haben (mehr gingen nicht in den Ofen, sagt Menne) müssen wir uns beeilen. Vorher gesteht aber der Kameramann, dass die Abblendfolie auf meiner englischen Börsenlampe geschmolzen ist. Wenn?s weiter nichts ist! Wir wollen noch im Garten drehen, es ist der Garten der Thalheims, in der Nachbarvilla, die ebenfalls auf dem Grundstück steht, habe ich vor dreizehn Jahren ?Der 7. Tag? geschrieben. Aber draußen wird es bereits dunkel, also schnell ab in die Botanik. Ich sehe im Monitor, dass der Kameramann wirklich ein Künstler ist. Der quetscht aus dieser Bilder-armen Geschichte an einem dunkelgrauen Januartag das Letzte raus.
Inzwischen ruft Menne in der Buchhandlung an und fragt, wie lange man denn noch auf habe. Bis 19.00 Uhr ist die beruhigende Antwort.
Was er noch nicht wusste zu diesem Zeitpunkt: Das Schlimmste stand uns noch bevor. Denn bis jetzt hatten wir ein Interview und ein paar harmlose Bewegungen. Die Crew hatte sich aber etwas Besonderes überlegt. Eigentlich wollten sie gar kein Interview drehen, sondern einen Tatort. Jedenfalls einen kleinen. Stichwort: Küchenmesser. Das Licht in der Küche erlischt. Die Autorin schlüpft in High Heels. Und ACTION!
Ich laufe im Flur, nicht sichtbar für die Kamera mit lauten Schritten, gehe durch die Küchentür, öffne eine Schublade und ziehe ein scharfes Fleischmesser heraus, mit dem ich nach rechts abgehe. Man sieht nur meine Füße und hoffentlich das Messer. Wenn ich es richtig halte. Nein, und das Messer muss nochmal poliert werden. Das richtig Halten üben wir ungefähr zwanzig Mal, der Kameramann sagt etwas anderes als der Redakteur, dem Tonmann ist es egal? Klack, klack, klack, Schublade auf, Messer raus, Arm verdrehen, Messer mit der Klinge ganz ?natürlich? in die Kamera halten und aus dem Bild laufen. Natürlich gänzlich unaffektiert. Wenn das Dingen keinen Grimme-Preis bekommt, nehme ich mir einen Strick!
Bei dieser Einstellung hat der Redakteur eine Bildidee. Jetzt ist der Tonmann dran, besser bekannt als ?Schatzi?, er muss mit dem Messer durch den Flur huschen, der Kameramann filmt nur seinen langen Schatten. Sieht zunächst ein bisschen zweideutig aus, aber an der Messerhaltung wird akribisch gearbeitet, bis man im Monitor nicht mehr einen schlechten Porno sondern einen Tatort erahnt.
Es ist halb sieben, als wir endlich in der Buchhandlung sind. Die Damen empfangen uns mit der Bemerkung, dass sie in zehn Minuten draußen abbauen und Krach machen müssten, damit sie heute nochmal nach Hause kommen. Gott sei Dank, vorn auf dem Tresen liegen fünf Exemplare ?Der 7. Tag?. Sie haben 20 bestellt, hatte mir mvg mitgeteilt, also genug Nachschub. Die eine Bibliothekarin steht mit beleidigtem Gesicht hinter dem Tresen. Die andere gibt ein Interview. E-Books? Nö, das interessiere sie nicht. Sie habe kein E-Book, sie lese keine E-Books, das sei für sie kein Thema. Konkurrenz? Nö, für sie nicht, sie hätten ein Stammpublikum, das ihre Beratung schätzen würde. Ob sie denn glaube, dass Selfpublisher über E-Books eine Chance hätten, einen Verlag zu finden. Eins zu einer Million, sagt sie.
Dann fangen sie an, einzupacken. Der Tonmann hilft den Damen, der Kameramann filmt das Buch, an verschiedenen Stellen. Eine Kundin kommt rein, macht eine wegwerfende Handbewegung, die sagen soll, oh, bitte mich nicht. Sie verjagt den Kameramann von einer Ecke, denn dort sieht sie einen Stapel Briefpapier liegen, den will sie sich genauer angucken. Sie fragt nicht, wofür man da dreht, weshalb da ein Mann mit einer Kamera steht. Sie fühlt sich nur gestört. Ist so ein Verhalten normal? Ich hätte sofort gefragt: Und? Wofür ist das? Aber vielleicht bin ich nicht normal.
Viertel vor Sieben sind wir fertig in dem Laden, auch draußen ist alles abgebaut. Der Kameramann will noch durch die Schaufenster filmen, wie ich mich mit der Bibliothekarin unterhalte. Wir schließen also die Tür, ich mache Small Talk am Tresen. ?Sie haben immer mehr Nebenprodukte im Angebot?, sagte ich und zeige auf Bleistifte und Frühstücksbrettchen auf dem Tresen. ?Ja?, sagt die Buchhändlerin, ?wissen Sie, an Büchern verdienen wir nichts.? ?Wieso?, frage ich erstaunt, immerhin gibt es die Buchhandlung seit Jahrzehnten und immerhin verdient diese Buchhandlung am Verkauf meines Buches mehr als ich. ?Wegen der Mehrwertsteuer?, sagt die Buchhändlerin. Wie gut, dass die Kamera hinter mir stand, ich muss wohl ein ziemlich beklopptes Gesicht gemacht haben. ?Sie wissen ja, dass Bücher ein geschütztes Kulturgut sind und deshalb nur 7 % Mehrwertsteuer darauf liegen. Deshalb verdienen wir daran nichts.?
Es ist sieben Uhr, als wir den Laden verlassen. Das war wie ein Ausflug in die alte Welt. Einer, der mich zum Schluss sogar noch sprachlos gemacht hat. Was bei mir wirklich was heißen will!
Man kann den Beitrag im internet sehen. Er läuft heute zwischen 17.30 Uhr und 18.00 Uhr auf Deutsche Welle TV im Magazin euromaxxx live, später ist er in der Mediathek abrufbar. Mal gucken, von wem und aus welchen Ecken der Welt ich Post bekomme. Darauf freue ich mich besonders.