Mein Krampf

Hochhaus am Roseneck: Hier spielt mein neuer Thriller „Tod im 16. Stock“.

Es gibt Kollegen, die behaupten, sie hätten tausend Ideen für neue Bücher. Nein, die habe ich nicht. Nicht mal hundert und wenn ich ehrlich bin, manchmal sogar gar keine. Ich tue mich bei jedem neuen Thriller schwer mit dem Plot. Immer denke ich: nicht gut genug, nicht originell, nicht spannend, kennt man doch. Seitdem das Fernsehen jeden Abend auf allen Kanälen Krimiserien ausstrahlt, seitdem die Kriminaltechnik fast allwissend geworden scheint, ist es schwer geworden, noch einen Plot zu finden, den so noch niemand gelesen beziehungsweise gesehen hat. Ich gestehe: Plotten ist für mich eine Qual. Auf der einen Seite.

Auf der anderen Seite muss ich vom Schreiben leben. Und in sieben Jahren hauptberuflichem Schriftstellerdasein habe ich gelernt: eBook-Autoren müssen schnell sein. Wenn du nicht mindestens drei Bücher pro Jahr auf den Markt wirfst, bist du out. Die Leser vergessen dich. Die Faustregel heißt: drei Bücher pro Jahr, besser vier und ich habe sehr erfolgreiche Kollegen, die schicken sogar fünf und mehr in den Orbit. Meine Hochachtung, liebe Kollegen, nicht weil ihr so fleißig schreibt, sondern für Eure Fantasie. Meine reicht dafür offensichtlich nicht aus.

Aber der Markt hält noch mehr Zwänge bereit. Am besten haben es die Kollegen getroffen, die früh mit ihren Reihen Erfolg hatten. Da verkauft sich auch das fünfundzwanzigste Buch der Reihe noch, weil die Leser den Kommissar lieben oder die frechen Sprüche oder das Ambiente. Ich habe zweimal versucht, eine Reihe zu etablieren. Es hat leider nicht geklappt. Allerdings habe ich auch jedes Mal beim dritten Buch der Reihe gemerkt, dass ich eigentlich keine Lust hatte, dieses Buch zu schreiben. Und wenn ich mich schon langweile, wie soll es dann meinen Lesern gehen?

Du kannst doch schreiben, was du willst, sagen meine Freunde. Kann ich das wirklich? Schließlich muss ich meinen Lebensunterhalt verdienen mit meinen Büchern. Mein erfolgreichstes Buch war „Der 7. Tag“ und natürlich habe ich versucht, meine Heldin Sybille Thalheim hinüberzuziehen in andere Bücher. Es gibt zwei weitere Krimis mit Sybille Thalheim und ich hatte vor, jetzt den dritten zu veröffentlichen. Ehrlich gesagt, ist das Buch fast fertig.

Es gibt ein Wiedersehen von Sybille Thalheim mit ihrer alten Freundin Gabi Henke und Sybille beginnt einen Flirt mit Kommissar Warnke. Folgerichtig, nicht nach dem Buch, aber nach der Verfilmung von Oliver Berben. Natürlich stolpert meine Sybille wieder mitten rein in ein Verbrechen, diesmal ermittelt sie zwar auf eigene Faust aber mit Warnke Hand in Hand.

Seit Wochen schreibe ich an diesem Krimi. Ich bin eine Discovery-Schreiberin, das heißt, ich habe eine Grundidee zu einem Buch und los geht es, der Rest ereignet sich sozusagen live beim Schreiben. Und es ereignete sich was. Zwar zunächst zäh und widerspenstig, aber es begann sich ganz langsam eine Geschichte abzuzeichnen, die wie ich finde, es wert ist, erzählt zu werden. Mit all ihren Verwicklungen, psychologischen und gesellschaftlichen Hintergründen, eine Geschichte, die man nicht so schnell vergisst, eine, die den Leser vielleicht nachdenklich aber zumindest betroffen zurücklassen wird. Aber von Tag zu Tag hatte ich weniger Lust zu schreiben. Ich bin sowieso die Weltmeisterin im prokrastinieren, aber so schlimm wie diesmal war es noch nie. Keinen Tag habe ich mich vor halb vier an mein Manuskript gemacht, selten vor halb fünf überhaupt eine Zeile geschrieben und zwischendurch musste ich noch gaaaanz viel erledigen.

Es gibt Stoffe, die schreiben sich quasi von alleine: Da ist zum Beispiel meine „Bella,14“ oder „Der 6. Geburtstag“ oder auch die „11 Stufen“ – Stoffe, die mir aus den Fingern geflutscht sind.

Dann gibt es Stoffe, die verselbstständigen sich, so dass ich eigentlich nur noch meinen Figuren folgen muss, was auch mal schief gehen kann, wie zum Beispiel „Im 8. Kreis der Hölle“. Da habe ich zum Schluss tatsächlich Hilfe von einem real existierenden kanadischen Kommissar gebraucht, um aus der Scheiße wieder rauszukommen, die meine Protagonistin eingerührt hatte.

Aber so etwas wie beim „Tod im 16. Stock“ – so wird mein neuer Roman heißen, ist mir noch nie passiert. Die einzigen Kapitel, die ich lustvoll geschrieben habe, waren die privaten Geschichten meiner von mir sehr geliebten Protagonisten aus „Der 7. Tag“. Aber sobald es um das Verbrechen ging, das aufgeklärt werden sollte, habe ich mir fast die Finger gebrochen. Ich habe Termine bei meiner Lektorin und meiner Korrekturleserin gemacht, schließlich wollte ich den Krimi sechs Wochen vor Weihnachten, also zum günstigsten Zeitpunkt veröffentlichen. Und dann der Countdown. Ich habe die Seiten gezählt, die ich pro Tag schreiben muss, wenn das Manuskript pünktlich bei meiner Lektorin sein soll. Von Tag zu Tag wurde ich unzufriedener, übellauniger, nervöser. Auf der einen Seite habe ich gemerkt, dass sich da eine grandiose Story entwickelte, eine, die es wert ist, geschrieben zu werden. Auf der anderen Seite habe ich gespürt, dass die Reihengeschichte rund um Sybille Thalheim mich davon abgehalten hat, die eigentliche Geschichte richtig erzählen zu können. Die Perspektive stimmte einfach nicht.

Meine besten Romane habe ich immer aus der Ich-Perspektive erzählt. Diese Perspektive liegt mir, weil ich damit meine Leser ganz nah an die Emotionen, an die Brüche, an die Lebenskatastrophen meiner Protagonisten heranführen kann. Sobald ich eine Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzähle, geht mir diese Unmittelbarkeit verloren.

Wenn ich aber schon das Gefühl habe, dass mich ein Stoff langweilt, wie muss es dann meinem Leser gehen? Ja, ich schreibe, um davon zu leben. Aber ich bin mal angetreten, um meinen Lesern ein paar schöne Stunden zu bereiten, ein paar (ent)spannende Stunden, ich will, dass sie sich freuen, wenn ich einen neuen Krimi herausbringe, und genau wie ich früher sagen: „Stört mich nicht, ich muss das jetzt erst zu Ende lesen.“ Das ist es, warum ich schreibe. Dass ich davon leben kann, dafür bin ich sehr dankbar. Und mein Grummeln im Bauch hat mir gesagt: Du verrätst dich, du verrätst deine Leser. Hör auf, lass dich nicht korrumpieren.

Und so habe ich gestern Abend aufgehört. Ich habe das Buch in die Tonne getreten. Und jetzt fange ich ganz neu an und werde euch die eigentliche Geschichte erzählen, die, die sich entwickelt hat. Die Geschichte von Leonie und Tabea und den Popow-Jungs, ebenso wie die von Hdzic jr. und Jan Schiefelbein. Ich werde die Geschichte erzählen lassen von Leonie, zwölf Jahre alt, denn es ist ihre Geschichte.

Will sagen, sorry Leute, „Tod im 16. Stock“ kommt ein paar Wochen später. Freut Euch drauf!

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