Rettet den Küchentisch

Ich bin ein Kind der Generation Fernsehen. Als wir 1958 von Berlin nach Dortmund zogen, waren wir die ersten in unserer Straße, die einen Fernseher hatten. Nachmittags drängelten sich die Nachbarskinder in unserem Wohnzimmer vor dem Flimmerkasten, um „Lassie“, „Fury“ und „Die Kinder von Bullerbü“ zu sehen. Während sich die Familien meiner Freundinnen und Freunde abends um den hölzernen Küchentisch versammelten und alle gemütlich durcheinander redeten, gab es bei uns zum Abendbrot am Couchtisch „Hier und Heute“. Und spätestens bei der „Tagesschau“ hieß es dann: „Psst, Nachrichten!“ Dass Mutter wenig Lust zum Kochen hatte, wundert deshalb nicht.

 

Mit zwölf machte ich meinen ersten Kochkurs, denn Mutters Essen schmeckte mir nicht. Und das erste, was ich für meine Studentenbude angeschafft habe, war ein Esstisch. Fast zeitgleich lernte ich meinen ersten Mann kennen, zu dem ich bald zog. Der war Franzose, Chansonsänger und Gastronom. („Künstler, Kellner und Kanacke“, wie mein Vater zu sagen pflegte.)

 

Im Mittelpunkt seiner großen Altbauwohnung stand ein Esstisch. Das Leben mit Jean-Pierre spielte sich an diesem Esstisch ab, von dem aus man dem Koch beim Kochen zusehen konnte. Die Speisen fanden Platz auf einem alten Küchenbuffet aus Eiche und über dem Tisch verbreitete eine antike grüne Pendelleuchte ein gemütliches Licht. Hier haben wir die Nächte durchdiskutiert, über Rezepte gestritten und viel gelacht, hier haben wir Heerscharen von Gästen bewirtet und vor allem königlich gespeist. Das Essen und seine richtige Zubereitung spielte eine große Rolle in unserem Leben, die dazugehörigen Getränke nicht zu vergessen. Regelmäßig traf man sich mit den zehn besten Freunden reihum, um sich gegenseitig zu bekochen. Das Geld, das wir verdienten, investierten wir in Gourmetreisen durch Frankreich, in ausgefallenes Steingutgeschirr und in Kupfertöpfe, die vor allem die Wände in der Küche zierten. Wir sammelten alte Kochbücher, denn die richtigen Rezepte kannte natürlich nur Oma. Damals war gerade die „Nouvelle Cuisine“ in Mode, für die wir nichts als blanke Verachtung übrig hatten. Ich lernte bei Oma in Lyon, wie man es richtig macht.

 

Als ich mich nach 14 Jahren von meinem Franzosen trennte, nahm ich nichts mit außer einem erheblich erweiterten Wissen über das Kochen und das Essen. Das erste, was ich mir für meine Junggesellenbude anschaffte, war ein Küchentisch. Denn endlich hatte ich eine offene Küche, die den Mittelpunkt meiner Wohnung darstellte. (Wobei die männlichen Besucher eher in Richtung Schlafzimmer schielten,-). In den fünf Jahren meines Singlelebens fand sich regelmäßig eine bunte Schar von Gästen bei mir ein, um sich von mir bekochen zu lassen. Mein soziales Leben spielte sich rund um meinen Küchentisch ab.

 

Als ich meinen jetzigen Mann kennenlernte, waren es zwei Interessen die uns vereinten: Unsere gemeinsame Liebe zu Florida und unsere gemeinsame Liebe zum guten Essen. Dass sich unser Leben rund um den Esstisch abspielen würde, war damals klar. Nicht klar war allerdings, wo dieser Esstisch stehen würde. Viele Jahre hatten wir Wohnungen, in denen wir Küchen hatten, in denen man zwar kochen aber nicht essen konnte. Die Esstische standen weit abgeschlagen in separaten Speisezimmern. Als wir unsere erste Küche hatten, in der auch ein Esstisch Platz hatte, haben wir sofort an diesem herrlichen Holztisch gemeinsam einen Roman geschrieben, „Alligator Valley – Krokodile weinen nicht“ erblickte im orangefarbenen Schein unserer Küchenlampe das Licht der Welt. Und wieder mussten wir umziehen, wieder in eine Wohnung ohne Platz für einen gemütlichen Küchentisch.

 

Dafür hatten wir einen 250 Jahre alten, bildschönen Refektoriumstisch, der vor unserer selbst entworfenen Bücherwand stand, der so groß war, dass man daran gemütlich mit 12 Personen speisen konnte. Zu zweit brauchte man allerdings eine Eisenbahn, um sich das Salz rüberzureichen und ein Megaphon, um sich zu unterhalten. Und die Küche war außerhalb der Rufweite.

 

Eines Tages erfuhren wir, dass eine Wohnung im Nebenhaus frei wurde, auf deren Küche ich immer neidisch von meinem Wohnzimmerfenster aus schaute. Dort gab es ein Halbrund vor einer Kücheninsel, in dem ein gemütlicher Küchentisch Platz hatte. Es war diese Sehnsucht nach einem Platz für unser Vorlieben, der uns dazu bewog, die 4,20 Meter hohe und 5,70 Meter breite Bücherwand und den Refektoriumstisch zu verkaufen und in die Nachbarwohnung zu ziehen.

 

Jetzt wohnen wir hier schon acht Jahre. Abend für Abend sitzen wir in diesem Halbrund und quatschen, bis wir Fusseln am Mund haben. Ich habe mich an das Kochen auf einer Mittelinsel gewöhnt (ist nicht ganz einfach, weil man gut vorplanen muss, will man nicht ständig rundherum laufen) und lange davon geträumt, diese langweilige, graue Einbauküche durch eine Landhausküche zu ersetzen. Seit zwei Wochen sind die Handwerker dabei, unseren Traum in die Tat umzusetzen.

 

Währenddessen habe ich mich natürlich mit Freunden und Bekannten über Küchen und Essen unterhalten. Ich habe erfahren, dass die meisten Familien gar nicht mehr gemeinsam essen, dass jeder sich etwas nimmt, wenn er nach Hause kommt. Bei einigen Familien scheint das so zu sein, wie bei uns in Dortmund: Couch und Glotze, bei anderen haben die Tablets und Smartphones die Glotze abgelöst. Dann gibt es die mit den Traumküchen, in denen außer der Kaffeemaschine und der Mikrowelle nichts zum Einsatz kommt. Auch ich bin fünfmal in der Woche erschöpft beim Italiener niedergefallen. Damals, als ich noch meine Kommunikationsagentur hatte und nicht vor halb neun zu Hause war. Trotzdem habe ich am Wochenende gern meine Gäste bekocht.

 

Ich finde es schade, dass die Küchentisch-Kultur in Deutschland auszusterben scheint. Denn das tägliche gemeinsame Mahl, das sich zusammen an einem Tisch Niederlassen ist der stärkste soziale Kitt, den es gibt. Was verbindet Menschen mehr als eine dampfende Terrine und eine Suppenkelle, mit der einer den anderen bedient. Das neumodische Anrichten auf quadratischen Tellern mit Speisen, deren Zutaten getrennt in winzigen Gläsern gereicht werden, mag zwar das Auge erfreuen, das Herz erwärmt es jedoch nicht. Kochen ist Fürsorge, Kochen ist Liebe, und wo spürt man die Geborgenheit einer Familie mehr als in einer Küche, die erfüllt ist von den aromatischen Düften frisch zubereiteter Speisen. Rettet den Küchentisch!

 

Auch in meiner Reihe „Kudamm-216-Krimi“ spielt Lubitsch_K216_Erpresst_5A_RZsich das Leben rund um den Esstisch ab. Das Team von Alice von Kaldenberg, genannt Lady Kaa, trifft sich jeden Mittag in Elkes Küche zum gemeinsamen Mittagessen. Hier werden die Fälle diskutiert und mitunter auch gelöst, hier werden natürlich auch die Gäste bekocht und Feste gefeiert. Liebster Stammgast ist Lady Kaas Exmann Konny. Soeben erschienen: Band 3, „Erpresst“.

 

3 thoughts on “Rettet den Küchentisch

  1. Liebe Nika,

    ich kann deinen Aufruf für den Küchen-(Ess-)tisch nur allzu gut verstehen. Und wie ich deinen Beitrag jetzt so gelesen habe, da überkam mich gleich so eine wohlige Wärme der Zugehörigkeit, es ist eine Art Ankommen, Da sein, zusammen sein.

    Ich bin Jahrgang 1980 und auch bei uns, als ich noch Kind war, war es normal, dass man alle zusammen am Tisch gesessen und gegessen hat. Meine Eltern waren beide immer berufstätig, und so war eben das Abendessen das gemeinsame Mahl. Meine Eltern kommen beide aus der Vojvodina (Nordserbien) und ungarische Küche ist bei uns Gang und Gebe. Und anders kann ich es mir gar nicht vorstellen.

    Beim Essen können wir uns zumindest noch zusammenreissen und es gibt keinen Smartphone, kein iPad am Tisch und der Fernseher wird meist auch ausgemacht. Sehen kann man sowieso nicht vom Esstisch aus. Ich finde es auch traurig, dass sich viele Familien heutzutage nicht mehr diese Mühe machen. Wenn es im Alltag vielleicht nicht möglich ist, dann aber wenigstens einmal in der Woche. Das ist eine wunderbare Zeit des zusammen sitzen und sich unterhalten. Ich würde es um nichts in der Welt missen wollen.

  2. Liebe Ildiko,

    da habe ich ja eine Sister in mind getroffen. Ich werde heute Abend an Sie denken, wenn ich mich mit meinem Mann an unserem Tisch niedersetze und Ihnen von Berlin aus zuprosten. Danke für Ihre Nachricht, da fühlt man sich doch gleich nicht mehr so allein.

  3. Jaaaa „sista in mind“ gefällt mir sehr gut 😀 ich werde heute Abend dann auch direkt den Wein rausholen. 😀 😀 😀 Prost auf das Leben 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.