Bingo-Marketing

Die Marketing-Aktivitäten von Selfpublishern erinnern an die schwerhörige Lady mit den lila getönten Haaren, die in einer Bingohalle in Florida sitzt und ihre Brille vergessen hat. Sie kann die Zahlen kaum erkennen und ist sich nicht ganz sicher, ob sie die Ansagen richtig verstanden hat. Deshalb ruft sie lieber einmal zu oft „Bingo“.  Ab und zu hat sie sogar Glück. Genau so ist es mit den Bemühungen von Selfpublishern, die eigenen Werke meistbietend an den Mann beziehungsweise die Frau zu bringen: Der Erfolg basiert mehr auf Glück als auf harten Fakten. Denn genau die fehlen, darum trägt Matthias Mattings Selfpublisherbibel auch den richtigen Namen: Wir können nur in gutem Glauben handeln.

Dabei sah es am Anfang doch so einfach aus. Die große Mutter Amazon machte es möglich. Man machte eine Gratisrunde und landete in den Charts. Na ja, nicht alle, aber viele. Dann drehte Mutter an der Schraube und die Marketingstrategie „gratis“ war Schnee vom vergangenen Jahr. Also fingen wir an zu spielen. 99 Cent zur Einführung, Anzeige bei xtme, vielen krempelte sich der Magen um. Für viele andere ging die Rechnung jedoch auf, vor allem, wenn man mehrere eBooks auf dem Markt hatte. Denn die Rechnung hieß: Du musst die Leser anfixen, wer ein Buch von dir liest, kauft das nächste. Die Selbstbewussten hatten damit Erfolg und machten sich mithin viele Feinde. Das ging so lange gut, bis Amazon selbst auf die Idee mit den Deals kam. Die funktionierten nämlich nur noch, wenn Mutter Amazon sie auch anständig promotete, bzw. manchmal funktionierten sie sogar auch dann nicht. (Ich stürzte mit einem neuen Buch und einem Messedeal von Platz 1.500 am ersten Tag auf Platz 45.000 am zweiten Tag ab.) Je mehr eBooks in den Deal kamen, desto schlechter lief es. Es kamen außer dem Wochendeal der Monatsdeal, der Osterdeal, der Frühlingsdeal und dann kam Kindle Unlimited. Von da an war Schluss mit Lustig. Denn einen Deal kriegte man nur, wenn man auch im Verleihprogramm war. Und das hatte gewisse Zugangsbeschränkungen.

Wer Erfolg hatte, hatte sich natürlich inzwischen ein wenig umgetan. Da landeten die ehemals selbstverlegten eBooks in einem Verlag und deshalb in allen anderen eBook-Shops, wer gut verhandeln konnte, behielt die Amazon-Rechte selbst. Oder man ging über einen Distributor, um sein Werk nun omnipräsent zu haben. Mutter Amazon schüttelte traurig ihren Kopf: „Kinder so geht das doch nicht“. Also stürzten die erfolgreichen Titel, die sich nunmehr bei Hugendubel, Thalia und Kobo tummelten bei Amazon in unsichtbare Tiefen. Was Mutter Amazon vermutet hatte, bekamen die ungezogenen Kinder jetzt zu spüren: Nur wenn es bei Muttern gut läuft, laufen auch die anderen Shops gut. Trotzdem – die anderen Shops trugen ganz erheblich zum Lebensunterhalt bei, was wiederum Amazon zum Nachdenken brachte. Flugs wurde das System All Star Boni erfunden.

Das rief die Rechenkünstler auf den Plan. Mit den Boni konnte man richtig Geld machen aber natürlich nur, wenn man einen Teil seines Oeuvres bei Amazon exklusiv verdingte. So mancher entsagte der gesamten Range und kroch reumütig exklusiv zurück zu Amazon. Ob sich das langfristig rechnet – wer will es wissen.

Und dann kam Tolino. „70 % auf alles“ – damit wurden die erfolgreichen Selfpublisher zu den Honigtöpfen von ebook.de oder Weltbild gelockt. Und schon entbrannte der Streit unter den Selfpublishern, die einen riefen „Amazon only“, die anderen „endlich frei“ und die nächsten „unprofessionell“. Wer es ausprobiert hat, wurde mit guten Umsätzen, pünktlicher Zahlung und netten Ansprechpartnern belohnt. Allerdings waren die All Star Boni futsch und die Deals konnte man sich bei den Kollegen von hinten anschauen.

Weihnachten ist Bingo-Marketing im Härtetest: Die Zeit, in der viele, die immer noch keinen Kindle oder Tolino oder Kobo hatten, nun endlich mittels Geschenks bekehrt werden. Der Grundgedanke: Es gilt, die Newbys an der eReader-Front auf sich aufmerksam zu machen! Wenn man schon keinen Amazon-Deal hat, dann muss wenigstens ein Tolino- oder Kobo-Deal her. Und natürlich Facebook-Anzeigen, damit das Ganze auch eine gute Aufmerksamkeit bekommt. Und das war der Moment, in dem die schwerhörige, lilagetönte Lady mal wieder zu früh „Bingo“ gerufen hat.

Nach Absprache und schriftlicher Bestätigung habe ich für zwei Bücher Deal-Aktionen vereinbart, zum empfohlenen Verkaufspreis von 99 Cent. Das ist fast gratis, aber man will ja die Leser von morgen generieren – wenn nicht jetzt, wann dann?

Dank Buchpreisbindung muss man den Dealpreis allerdings in allen Shops anbieten. Das hat vor zwei Jahren schon nicht mit meinem Verlag geklappt, aber diesmal sitzt man ja selbst am Knöpfchen. Also wird in allen Shops der Deal-Preis eingegeben und entsprechende Werbung für die großen Shops gebucht. Der erste Schock ließ nicht lange auf sich warten: Die Bestsellerplatzierungen bei ebook.de und Hugendubel waren futsch! Über Nacht einfach weg. Es passierte also genau das Gegenteil von dem, was man beabsichtigte: Statt Sichtbarkeit zu erzielen rutschte man in die Anonymität.

Dann ein Anruf von Tolino. Es gäbe da noch die Möglichkeit eines Thalia-Deals für 1,99 €. Das Buch muss aber vorher mindestens das Doppelte gekostet haben. Ja klar, machen wir, immer ran da, die 99 Cent-Aktion für das eine Buch ist ja noch nicht gestartet. Schnell die voreingestellten Deal-Preise auf 1,99 € ändern, die Werbung ändern und dann mal sehen.

Am nächsten Tag eine Mail von Amazon. So gehe es nun wirklich nicht. Das Buch kostet in einem anderen Shop 99 Cent, wir haben Ihren Preis von 1,99 auf 99 Cent herabgesetzt. Danke, liebe Mutter Amazon, wie fürsorglich! Wieso eigentlich in einem anderen Shop? Ein Blick in das Kobo-Dashboard bestätigt die böse Ahnung, die Kobos brauchen 48 Stunden um den Preis zu ändern. Dafür sehen die Kobo- und die Amazon-Anzeigen für 1,99 € aber richtig schick aus!

Ein weiterer Blick ins Tolino-Dashboard bringt neues Ungemach. Der Preis für den ersten eigenen Deal ist von 99 Cent auf 1,99 heraufgesetzt worden. Von wem? Wieso? Natürlich ist es Samstag, vor Montag kann das niemand aufklären. Also schnell die Preise in allen Shops ändern und natürlich die Facebook-Anzeigen. Wie gut, dass dort Maschinen sitzen, die nicht denken, dass die Alte einen an der Waffel haben muss.

Am Montag dann ein Anruf von der Kollegin meines Tolino-Ansprechpartners, der sich in seinem wohlverdienten Weihnachtsurlaub befindet. Sie habe den Preis für das eine Buch hinaufgesetzt, weil sie dachte, dass das in den Deal soll. Klassisches Kollegenmissverständnis. Aber das geht nicht nach meinen Informationen, weil es vorher schon 99 Cent gekostet hat. Ich bitte sie also, das auf das andere Buch umzustellen, so wie mit dem Kollegen vorher vereinbart. Und noch schnell eine Mail an Thalia, damit da nichts schief geht.

Amazon ist bei dem ersten Buch immer noch auf 99 Cent. Verdammt, die 48 Stunden sind längst vorbei, wieso geht das denn nicht? Ein Blick in das Kobo-Dashboard zeigt mir, dass bis zum 29. Januar überhaupt keine Preisumstellungen mehr bei Kobo gemacht werden können. Och nö, Leute!

Und dann wurde der Thalia-Deal per Newsletter beworben. Wer nicht dabei war: mein zweites Buch. Das erste leider auch nicht.

Fazit: Viel zu früh „Bingo“ gerufen. Der Schaden: Falsche Preise in den Anzeigenkampagnen für Kindle, Tolino- und Kobo-Leser. Verlust der Bestsellerplatzierungen bei Hugendubel und ebook.de. Preisanpassungen zwischen den Jahren wurden nicht durchgeführt. Die Deals sind genauso verpufft wie die Silvesterraketen.

Na dann: Auf ein neues Marketing-Abenteuer!

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