Schöne Bescherung: Christel von der Post

Schriftsteller haben einen Vorteil: Sie können ausschlafen. Und sich anschließend mit Kaffee und Schlafanzug hinter dem Computer verstecken. Kein Termin erfordert ein Styling, es gibt keine Kollegen, die ein abschätzendes Auge auf das Erscheinungsbild werfen. Man ist ganz für sich, bis auf den Angetrauten, aber Mausebär kennt mich ja sowieso in jeder Lebenslage.

Das morgendliche Idyll wird jedoch täglich durch vehementes Klingeln gestört. „Deine Druckerpatronen“, sagt Mausebär. Großzügig schaut er darüber hinweg, dass es einen anderen Mann gibt, der mich im Out-of-bed-look seit Jahren kennt: unseren DHL-Boten. Der ist richtig nett, hat immer einen flotten Spruch auf den Lippen und außer den Druckerpatronen noch seinen Dackelblick im Gepäck. Den setzt er auf, wenn es heißt: „Könnten Sie noch für ihren Nachbarn ein Päckchen annehmen?“ Na klar kann ich, mache ich ja immer und mache ich auch gern, denn ich habe auch sehr nette Nachbarn. Die Betonung liegt auf dem Plural, denn ich habe einige sehr nette Nachbarn und die kriegen täglich einige Päckchen. Und so sieht es spätestens um halb zwölf in unserem Flur aus wie auf der Abholstation der Deutschen Bundespost. „Ich bin die Christel von der Post“, hieß ein Heimatfilm aus den 50er Jahren, den ich zwar nie gesehen habe, aber der Titel fällt mir immer ein, wenn wir am Wochenende Besuch bekommen. Dann deute ich mit säuerlich gespitzten Lippen auf die im Flur gestapelten Pakete und zitiere als Entschuldigung den Filmtitel. Murphys Gesetz gilt nämlich auch bei der Versandbestellung: Je näher Urlaub oder Weekendtrips bei unseren Nachbarn rücken, desto größer die Bestellungen. Und die werden natürlich geliefert, wenn die Besteller bereits entschwunden sind.

Da kam ein schwerer Mosaiktisch aus Indien für unsere Nachbarn, die gerade für drei Wochen in die Sommerferien gefahren waren. Das Ding war ohne Karren nicht zu bewegen und blockierte wochenlang den Garderobenschrank.

Da ist die Olympionikin, die täglich von irgendeinem Hersteller Laufschuhe geschickt bekommt. „Und noch ein Päckchen für Claudi“, flachst dann unser DHL-Bote schief grinsend. Wobei man mit den Laufschuhen die internationale Damenriege des Olympiakaders ausstatten könnte. Die kommen natürlich immer, wenn Claudi gerade am anderen Ende der Welt trainiert.

Der Onkel Doktor unter uns bestellt seine Medikamente immer so, dass sie geliefert werden, wenn die Praxis geschlossen ist. Er hat aber so viel zu tun, dass er erst eine Woche später die Päckchen, die sich inzwischen für ihn im Durchgang zu unserem Wohnzimmer stapeln, abholen kann.

Und dann ist da die Nachbarin, die sich nicht traut, nach 20 Uhr zu klingeln, weil sie denkt, dass sie stören könnte. Was zur Folge hat, dass die Pakete eine Woche herumstehen, weil die rücksichtsvolle Nachbarin ständig Überstunden schiebt. Dafür kommt sie dann Sonnabend morgens um neun.

Die beliebteste Zeit zum Abholen der Pakete scheint zwischen 17 und 18 Uhr zu sein, also genau die Zeit, in der wir unser Nachmittagsschläfchen halten.

In Spitzenzeiten kommt nicht nur „mein“ DHL-Bote, sondern über den Tag verteilt kommen gleich mehrere DHL-Aushilfen, Hermes- und UPS-Boten, auch, wenn sie gar kein Päckchen für uns haben. Spitzenzeiten sind die Wochen direkt vor den Ferien, besonders krass wird es dann zu den Feiertagen.

Schon jetzt graut mir vor Weihnachten. Dann werden die Pakete erst abgeholt, wenn der zu Beschenkende gerade nicht da ist. Also Heiligabend um halb zwölf.

Liebe Leser, denkt bitte an eure freiberuflichen Nachbarn. Sonst werdet ihr kurz vor Weihnachten mit Anstehen nicht unter eineinhalb Stunden im Postamt bestraft. Weil Christel von der Post von ihrem Streikrecht Gebrauch macht.

P.S. Wie bin ich nur darauf gekommen, meinen Jonas in „Mord im 4. Haus“ von einem DHL-Transporter entführen zu lassen?

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