Haltbarkeitsdatum abgelaufen

E-Publishing – was für eine wunderbare Möglichkeit, seine Schubladen-Romane, die ja wohl jeder Autor hat, an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. Nach dem ersten – mehr als erfolgreichen – Versuch mit meinen Kurzgeschichten in „Strandglut“ habe ich mich natürlich sofort an die Arbeit gemacht.

Zuerst wollte ich mein Lieblingsbuch, einen mit Herzblut geschriebenen Social Fiction Thriller namens „Alligator Valley“ unter das Volk werfen. Das Cover war schnell gemacht, ich hätte jeden Verlagsgrafiker dafür geküsst. Und dann das Ganze nochmal gelesen. Der Roman spielt in der nahen Zukunft, nämlich 2053.

Mein Autorenherz jaulte schmerzhaft getroffen auf. „Alligator Valley“ habe ich 2005 geschrieben. Zentrales Kommunikationsmittel im Jahr 2053 ist ein „Handheld“. Heute, 7 Jahre später, hat fast jeder einen Tablet mit genau den gleichen Funktionen. Mit was um Gottes Willen soll ich meine Protagonisten im Jahr 2053 ausstatten, ohne innerhalb der nächsten drei Monate rechts überholt zu werden? Der Änderungsaufwand für über 600 Seiten ist erheblich. Also vielleicht doch den Schubladen-Krimi vorziehen. Gedacht, getan.

Also „Der siebente Tag“. Geschrieben im Jahr 1999. Ein Kriminalroman. Hinterlistige Story, die eine Menge Recherche erfordert hatte. Ich habe Rechtsanwälte bemüht, Notare, Gynäkologen, Immobilienfachleute, habe mir u.a. die Justizvollzugsanstalt Pankow angeguckt.
Das war viel Arbeit und das waren viele Abendessen. Google? Hä?

Heraus kam, wie bei mir nicht anders zu erwarten, ein absolut nicht klassischer Krimi mit komplizierter Struktur und einem Beethoven-Schluss. (Wenn du denkst, es ist vorbei, geht es wieder von vorne los!)Und natürlich mit einem überraschenden Schweineschänzchen.

Ich lege mich also gemütlich aufs Sofa und fange an zu lesen. Gar nicht so schlecht, denke ich. Finde kaum Tippfehler, hatte das Ganze von meiner damaligen Chefredakteurin lektorieren lassen. Aber dann tröpfelt so langsam die Erkenntnis ins Gehirn: Die Geschichte muss aktualisieert werden. In die Jetzt-Zeit transponiert werden. Oha!

Das Mordopfer hat 19,6 Millionen DM unterschlagen. Ups. Also mal schnell umrechnen. Jeder Preis im Buch, und davon gibt es eine Menge, muss auf Euro umgerechnet werden.

Die Heldin qualmt wie ein Schlot, genauso wie früher die Autorin. Zwei Schachteln Marlboro am Tag. Soll sie, noch hat auch die Autorin keinen Lungenkrebs. Aber: Wann eigentlich wurde das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden in Deutschland eingeführt? Wann das Rauchverbot in Berliner Gaststätten. Wann das in Brandenburg?

Da ich eine Zeitschiene im Roman von 10 Jahren habe, ist das eine elende Rechnerei! Denn die Schlüsselszene spielt in einem Restaurant in Mahlow. Jetzt 2008.

Die Protagonisten des Buches sind direkt nach der Wende natürlich in den neuen Bundesländern unterwegs. Mit Benzinkanister und Picknickkorb. Ach, ja, das waren noch Zeiten. Jetzt muss die Geschichte natürlich von der Nachwendezeit in die Jahrtausendwendezeit verlegt werden. Die Weltsicht hat sich geändert.

Die haben teilweise keinen Handyempfang. Sie haben keine Smartphones. Zu Hause steht kein Computer. Sie recherchieren in öffentlichen Registern. Zu Fuß!

Und dann: Die Notaranderkonten. Wurden in Berlin leider weitgehend abgeschafft.

Ich stelle also fest: Auch das Haltbarkeitsdatum von Romanen kann ablaufen.

Und was lernen wir daraus? Dass wir versuchen sollten, unsere Romane zeitlich neutral zu schreiben.

Geht das?

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