Wer einmal einen Bestseller geschrieben hat, kommt bei jedem neuen Buch in die Bredouille. Wenn es nicht mindestens Platz 1 wird, hält man es für einen Flop. Nachdem meine Bücher mit den roten Zahlen allesamt Bestseller geworden sind, habe ich mir im vergangenen Jahr einen Traum erfüllt. Ich wollte eine Krimi-Reihe schaffen, die in meinem Berlin spielt. Die Betonung liegt auf meinem, denn ich gehöre bekanntlich nicht zu der schicken, jungen Szene in Mitte und schon gar nicht zum Schwabenländle rund um den Kollwitzplatz. Mein Berlin, das ist der Kurfürstendamm, das sind Charlottenburg, Schöneberg und Kreuzberg, wo ich meine wilden Jahren verbracht habe. Da sind aber auch Dahlem, Zehlendorf und Grunewald, wo ich aufgewachsen bin, wo ich und meine Freunde heute wohnen.
Ich habe davon geträumt, diese Umgebung, dieses spezifische Ambiente in eine Krimi-Reihe zu bringen, die natürlich in anderen Städten ihre Vorbilder hat. Allen voran Rex Stouts Nero Wolfe hat mich seit meiner frühesten Jugend beeinflusst. Mit Archie Goodwin habe ich das großbürgerliche New York kennengelernt, über die Atmosphäre im Hause Wolfe sind Bücher und Doktorarbeiten geschrieben worden. Ich glaube, es gibt mehr Sekundärliteratur zu Nero Wolfe als Bücher mit dem fetten, unsympathischen, überheblichen Helden und seinem naiven Underdog Archie Goodwin.
Mein Boston habe ich mit Spenser kennengelernt, in der Atmosphäre der frühen 80er Jahre, als es auch in Berlin schick war, in Lofts zu leben, gut zu kochen und ins Gym zu gehen. Spenser war unser Life style, er war einer von uns.
Ich bin Philip Marlowe nach Hollywood gefolgt und ich entsinne mich, wie ich bei meiner ersten Fahrt durch Los Angeles immer noch seine sarkastischen Bemerkungen im Ohr hatte.
Dennoch wäre niemand auf den Gedanken gekommen, dass Rex Stout, Robert B. Parker oder Raymond Chandler Regionalkrimis geschrieben haben. Dazu waren sie viel zu gesellschaftskritisch, zu metropolitisch und sie hatten eine spezifische, private Atmosphäre, die man in keinem Polizeirevier dieser Welt hinbekommt. Die Helden meiner Krimivorbilder haben alle eins gemeinsam: Sie sind ausgemachte Zyniker. Ironie ist heute fast verpönt, über gesellschaftliche Unterschiede schaut man politisch korrekt hinweg und eckige, kantige Charaktere sind verhärmten, deprimierten Sensibelchen in der Kriminalliteratur gewichen. Humor? Fehlanzeige.
Dagegen muss ich einfach einen Krimi schreiben. Einen, der im großbürgerlichen Berliner Ambiente spielt, mit all seinen Berlin-typischen Ausprägungen. Mit Menschen, wie sie hier leben. Die alte Krimiautorin Alice von Kaldenberg ist zwar Fiction, aber ihre Art zu denken, zu reden und zu handeln ist meiner verstorbenen, besten Freundin Regine von Ramin abgeschaut. Oh ja, Alice ist zynisch, arrogant und mitunter zum an die Wand klatschen. Wie gut, dass sie von ihrer alten Freundin Elke nicht nur göttlich bekocht, sondern auch in Zaum gehalten wird. Allerdings liebt Alice es, als Mentorin für junge Talente zu fungieren, davon profitieren der Maler Hüseyin Aydin, der einen türkischen Migrationshintergrund hat, und die polnisch stämmige Wirtschaftsingenieurin Oliwia Pawlak. Da sind die Lektorin Dr. Maria König, genannt Dr. porn. weil sie über erotische englische Literatur promoviert hat, und die noch etwas naive Journalistin Judith Schilling aus Hohenschönhausen, die in einem ganz anderen Berlin aufgewachsen ist. Alle Menschen, die sich am Kudamm 216 treffen haben ein Vorbild in meinem Freundeskreis. Auch die beiden Exmänner von Alice von Kaldenberg haben reale Vorbilder, ich habe sie mir ebenfalls bei meiner Freundin Regine ausgeliehen.
Ich hatte mir vorgenommen, einmal im Jahr einen Krimi mit diesem Team zu produzieren. Was ich unterschätzt hatte: Natürlich hat so ein klassischer Private-Eye eine ganz andere Zielgruppe als meine Thriller mit den roten Zahlen. Wer so einen Krimi liest, der ist Krimifan, Experte, aber nicht so ein Krimiexperte, wie die, die keinen Tatort verpassen oder die, die sich jeden Abend Criminal Minds hereinziehen. Sondern jemand, der genau wie ich, mit klassischen Kriminalromanen groß geworden ist. Ein Publikum, das man sich wohl erst langsam erobern muss.
Jetzt also Band 2 aus der Reihe „Kudamm 216“. „Sommernachtsmord“ erscheint am 1. Oktober zunächst exklusive auf amzon. Und wieder ist es ein typischer, cosmopolitischer Lubitsch: Am anderen Ende der Welt ist es für mich nun mal am schönsten. Und so will ich meine Leser vom heimischen Kudamm 216 entführen in Tausendundeine Nacht, die sich bald in Tausendundeinen Albtraum entwickeln wird. Was ich verspreche: Seit der Lammkeule von Roald Dahl wurde niemand mehr so kreativ und landestypisch um die Ecke gebracht. Wohin ich meine Leser entführte:
Das klingt sehr spannend – ich werde gleich einmal den Buchempfehlungen folgen und empfehle mich hiermit. LG, Ela
Herzensbücher müssen auch geschrieben werden! Ich freue mich auf dein neues Baby, liebe Grüße von Kirsten.
Zielgruppe für derartige Bücher können wohl nur diejenigen sein, die wie wir beide das gute alte Westberlin kennen und lieben gelernt haben, also eine Ära, die spätestens mit der »Wende« endete. Diese Menschen anzusprechen, ist weitaus schwieriger, als den allgemeinen Lesegeschmack zu bedienen. Aus meiner Sicht muss ein guter Autor das schreiben, was in ihm brütet. Je mehr er sich dem Zeitgeschmack unterwirft, desto literarisch wertloser wird er. Dafür hat er aber vielleicht wirtschaftlichen Erfolg, und das ist auch nicht zu verachten.
Hört sich wieder prima an, Nika, und somit wird’s auch wieder einwandfrei.
Das Problem ist nicht, dass irgendwelche obskuren, vermuteten Lesererwartungen erfüllt werden sollen, das Problem liegt darin, dass man sich als AutorIn genügend Zeit lassen muss, bis die richtigen Leser auf seine Bücher aufmerksam werden. Ich lese seit meiner Jugend U.S. Krimis und bin doch erst — ein halbes Jahrhundert später –, Thomas Ross (aka Oliver Bleek) kennenlernte; einen vor zwei Jahrzehnten verstorbenen amerikanischen Krimischriftsteller, den ich heute zu meinen Lieblinsautoren zähle. Warum? Zynisch, humorvoll, schreibt über meine Heimat Kalifornien, also regional, und beschreibt Frankfurt und Bonn mit der gleichen Kenntnis mit der er Hollywood darstellt.
Also? Genau das schreiben, was du willst. Ich behaupte frech, in Umkehrung der Volksweisheit, die eh meist aus dem Hintern gezogen ist: Wenn der Prophet nicht zum Berg geht, muss der Berg zum Propheten kommen.
Ich freue mich drauf. @Ruprecht Frieling – nein, die Zielgruppe sind Menschen, die klassische Krimis schätzen. Sagt eine, die das gute alte Westberlin nur mal in einem dreitägigen Besuch kennengelernt hat, also unter diesem Aspekt nicht zur Zielgruppe gehört.
Susanne Weigand