Von allen Hunden gehetzt – Zwei Jahre Selfpublishing

Am 12.Juli 2012 wurde Nika Lubitsch geboren. Auf einem zugemüllten Schreibtisch, draußen goss es in Strömen und es war so schwül, dass ich wirklich nicht mehr wusste, ob es die Herausforderungen der Technik waren, die mir den Schweiß aus den Poren trieben, die Aufregung, etwas total Neues auszuprobieren oder lag es nur am Wetter oder gar an den Wechseljahren. Und so begann meine Karriere als Selfpublisherin mit einem Donnerschlag.

Am 30. Juli hatte ich 330 E-books von meinen Short(s) Stories „Strandglut“ auf amazon verkauft und damit sage und schreibe 660 € eingenommen. Wahnsinn! Das schrie nach mehr, vielleicht, so dachte ich, könnte ich den Umsatz ja in einem ganzen Monat verdoppeln, vielleicht noch ein weiteres Buch?

Ich sichtete alte Manuskripte und entschied mich für einen Krimi, der an der Verlagsfront bereits zehn Jahr zuvor grandios gescheitert war. Ich transferierte die Story einfach von der Wendezeit in die Jahrhundertwendezeit und lud am 15. August „Der 7. Tag“ hoch. In drei Tagen gab es 8900 Gratisdownloads, weitere fünf Tage später hatte „Der 7. Tag“ „Shades of Grey“ überholt und sich auf Platz 1 der Kindlecharts festgesetzt.

Seit diesem Sommer vor zwei Jahren ist nichts mehr wie es war. Wie konnte ich ahnen, dass sich mein erster Monatsverkauf innerhalb von zwei Jahren vertausendfachen würde, so dass ich vom Schreiben würde leben können.

Die Angst, dass morgen alles vorbei sein könnte, fährt natürlich auf Seniorenrabatt mit. Ich habe vierzehn Monate gebraucht, um die Brücken hinter mir abzubrechen und mich voll und ganz auf das Abenteuer Selfpublishing einzulassen. Vierzehn Monate zwischen Rausch, Überarbeitung, Zweifel und schlechtem Gewissen. Ein schlechtes Gewissen, wenn ich am nächsten Buch geschrieben habe und meine Pflichten als Geschäftsführerin vernachlässigt habe. Ein schlechtes Gewissen, wenn ich für meine Firma gearbeitet habe und mir die Zeit zum Schreiben fehlte.

Es lag hoher Schnee im Winter 2013, als ich erkannte, dass es so nicht weitergehen würde. Es ging aber noch ein paar Monate so weiter, bis ich alles, was ich mir jahrelang aufgebaut hatte, meiner ehemaligen Lieblingsmitarbeiterin übergeben konnte. Um nun endlich und ausschließlich als Schriftstellerin zu leben.

Ist mein Leben deshalb ruhiger geworden? Iwo, würde meine Mutter sagen. Denn das, was ich mein Leben lang als Berufung angesehen habe, war nun zum Beruf geworden. Mit der Verpflichtung, damit verdammt nochmal so viel Geld zu verdienen, dass man davon auch leben kann.

Ich hatte mein halbes Leben lang einen Traum gehabt. Ich sah mich in einem wunderschönen Haus im Süden hinter einem Schreibtisch sitzen, sinnend durch die großen Fenster auf?s Wasser blicken und schreiben, schreiben, schreiben.

Es haben sich in den letzten zwei Jahren viele meiner Träume erfüllt, dieser leider nicht. Denn dass das Leben eines Kindleautoren nur aus Schreiben besteht, ist eine Mär. Nein, nur vom Schreiben kann man nicht leben. Man muss dafür sorgen, dass das Geschreibsel auch Leser findet und das ist zumindest ein weiterer Fulltime-Job.

Vor zwei Jahren habe ich meinen ersten Blogbeitrag geschrieben. Bis heute sind meine Blogbeiträge rund 65.000 mal gelesen worden. Aber auch die wollen erstellt sein. Ich habe über 2000 Leserzuschriften bekommen und jede einzelne beantwortet. Vor zwei Jahren hatte ich 30 Facebookfreunde und kannte niemanden in meinem Freundeskreis, der freiwillig auf Facebook war. Heute freue ich mich über rund 4000 Facebookfreunde, die sich auf meinen Seiten tummeln. Die ebenfalls Nachrichten lesen wollen.

All das ist Fluch und Segen zugleich: Als Verlagsautorin hatte ich niemals so engen Kontakt mit meinen Lesern, ich liebe diesen Austausch mit ihnen und freue mich über das riesige Feedback, das man als Indie erhält. Denn ich schreibe ja nicht für mich, sondern für meine Leser, ich will sie erfreuen, unterhalten und fesseln. Natürlich muss man auch lernen, mit den negativen Rezensionen zu leben. Was besonders schmerzt: 80 % der negativen Rezensionen stammen nachgewiesenermaßen von sogenannten Kollegen.

Und plötzlich ist es wieder da, dieses Gefühl, mit einem Arm auf fünf Hochzeiten zu tanzen. Da sitzt man zehn Stunden am Schreibtisch und hat sein Tagessoll an Schreiben nicht erfüllt, weil man das blog bedient oder eine Kolumne schreibt oder mit Lesern korrespondiert oder sich mit Kollegen austauscht. Die Mehrheit der erfolgreichen Kollegen geht nicht nur sehr kollegial miteinander um, sondern der freundschaftliche Austausch untereinander hilft jedem von uns, am Puls der Zeit zu bleiben und keine neue Entwicklung zu verpassen. Denn die Branche ändert sich schneller als ein Chamäleon seine Farbe.

Und dann leuchtet neben der Tastatur die To Do-Liste und mahnt all die Telefonate und Mails an, die unbedingt heute noch erledigt werden müssen. Da warten der Grafiker auf den Titel, die Übersetzerin auf das richtige Format, die Steuerberaterin auf die Belege, die Korrekturleserin auf ihre Kohle, der Journalist auf das Interview und ich auf das erste Ranking vom neu hochgeladenen Buch.
Und plötzlich ist es Abend und man hat wieder nichts geschafft.

Oder doch? Greifen wir wiedermal in die Statistikkiste: Ich habe vier Romane, einen Kurzgeschichtenband, zwei Sachbücher, zwei Sondereditionen, eine englische Übersetzung und ein Hörbuch in zwei Jahren veröffentlicht, eine weitere Übersetzung ist in der Endüberarbeitung. Es liegen weitere drei Manuskripte auf Halde, die überarbeitet werden müssen, die Cover, Lektorat und Korrektorat brauchen, bevor sie in eine mobi oder ein epub umgewandelt werden können. Ein Kudamm-Krimi ist fast fertig, es fehlen nur noch 20 bis 30 Seiten. Ach und dann sind da noch die ausländischen Lizenzen, von denen jetzt so nach und nach die gerade veröffentlichten Hardcover bei mir eintrudeln. Und die Verfilmungsrechte, die bei Oliver Berben liegen. Also doch nicht ganz faul gewesen.

Warum aber ist es ständig da, dieses Gefühl, niemals fertig zu sein, immer hinter dem Zeitplan zurückzuliegen, von allen Hunden gehetzt zu sein?

Ist es das schlechte Gewissen, weil ich mir den Traum erfüllt habe und meinen Schreibtisch in Florida aufgestellt habe? Nein, ich habe dort nicht durch die bodentiefen Fenster auf das Wasser geblickt, ich habe in einer dunklen Ecke unter der Klimaanlage gesessen und geschubbert wie eine Rummelnutte. Zweieinhalb Bücher habe ich dort in sechs Monaten geschrieben. Viel zu wenig, flüstert mir ständig irgendwer ins Ohr.

Als Selfpublisher muss man aufpassen, dass man nicht jede Struktur verliert. Es gibt keinen Montag mehr. Allerdings auch keinen Sonntag.

Für die Statistik: Von 24 Monaten habe ich acht Monate in den USA zugebracht und dabei zehn Bundesstaaten besucht. Ich war dreimal im Krankenhaus und bin um eine Gallenblase und 15 cm Darm erleichtert.

Ist es wirklich erst zwei Jahre her? Zwei Jahre, in denen ich viele interessante Menschen kennenlernen durfte, in denen ich mich in eine völlig neue Branche hineingefressen habe, wie eine Maus in den Käselaib. Zwei Jahre, in denen ich gelernt habe, dass einem Erfolg auch in dieser Branche auf Dauer nicht in den Schoß fällt und auch nicht jedes Buch zwangsläufig ein Nr. 1 Bestseller wird. Ich habe jonglieren gelernt, habe Marketingfehler gemacht und trotzdem (wahrscheinlich) eine Menge richtig. Ich habe gelernt, dass meine Protagonisten nicht jedem gefallen können, aber auch, dass ich mir selbst treu bleiben muss. Ich werde niemals einen kuschligen Krimi aus der deutschen Provinz schreiben können, mit kauzigen, liebenswert schrulligen Figuren. Meine Protagonisten werden immer so sein, wie meine Freunde und ich: Selbstironisch, schnodderig, authentisch und niemals nur gut oder nur böse. Meine Krimis werden immer in Berlin und woanders spielen, ich bin eine Großstadtpflanze und auch am anderen Ende der Welt gern zu Hause.

Wenn ich das jetzt so lese, dann denke ich: Mensch Mädel, entspann dich! Sag deinen Lesern
DANKE für 330.000 verkaufte Bücher und nimm einen großen Schluck Champagner auf ihr Wohl. Nika hat Geburtstag! Und ob Ihr es glaubt oder nicht: Ich höre inzwischen auf den Namen Nika. Er ist ein Teil von mir geworden.

Pünktlich zum Geburtstag habe ich es noch geschafft, ein Ferien-Sommer-Spezial für meine Leser zu veröffentlichen. SunSpecial gibt es zum Dankeschön-Preis für 1,49 €.

10 thoughts on “Von allen Hunden gehetzt – Zwei Jahre Selfpublishing

  1. Freut mich zu hören dass auch andere zwischen der selbst aufgebauten Firma und dem Self-Publishing hin und hergerissen sind oder zumindest waren. Ich steck grad mitten in diesem Schlamassel und kann mir noch nicht so richtig ausmalen, wie das ausgehen wird.
    Gut natürlich, sonst wär es keine tolle Geschichte, aber der Weg dahin wird wohl doch noch den einen oder anderen Spannungsbogen für mich parat halten.

    Daher wünsche ich auch weiterhin viel Erfolg und vor allem viel Spaß am tun! Oh, und ab und an etwas Urlaub 🙂

  2. … geschubbert wie eine Rummelnutte … HAHAHA, der ist gut.
    Ja, so ist das als Getriebener, als Süchtling der Literatur.
    Ich habe als vollkommen Branchenfremder mit KDP und gemeinfreien Autoren angefangen, um vielleicht meinen Traum vom Schreiben nebenbei zu finanzieren.
    Nun habe ich seit 2011 bis heute keine einzige Zeile geschrieben, aber knapp 200 Bücher ‚rausgebracht, davon ca. 20 von lebenden Autoren. Und dann ist da noch das zu erledigen und das und das und das…. und dann schaffe ich es endlich, meinen kleinen Krimi zu schreiben, doch, versprochen…

  3. Mensch Jürgen, mach hinne. Du wirst erst glücklich, wenn Du Deinen eigenen, kleinen Krimi veröffentlicht hast, auch wenn ich es großartig finde, was Du machst!
    Liebe Grüße Nika

  4. Guten Morgen, bin über FB hier gelandet und habe jetzt eine vergnügliche halbe Stunde hier mit Lesen verbracht. Und ich werde wiederkommen. Ihr Schreibstil hier im blog (die Bücher kann ich nicht beurteilen, hole das aber garantiert nach)gefällt mir ausnehmend gut. Vielen Dank ..so mag ich einen Sonntagmorgeneinstieg (mit deutschem Cappu!)
    Gruß vonner Grete

  5. Ein ehrlicher, authentischer Beitrag. Mögen alle Deine Träume wahr werden.

    Traurig ist die Feststellung »80 % der negativen Rezensionen stammen nachgewiesenermaßen von sogenannten Kollegen.« Das habe ich ebenfalls erlebt.

  6. Vielen Dank für diese erhellenden Einblicke, liebe Moni! Und herzlichen Glückwunsch zu der Allroundleistung. Habe diesen Beitrag in meinem Blog verlinkt, weil er gut zu meinem heutigen Thema passte. 😉

    Ganz liebe Grüße
    Christa

  7. Liebe Nika Lubitsch,

    durch Zufall auf diese, Ihre Seite gestoßen, möchte ich nur schnell meine Bewunderung für Ihr Schaffen ausdrücken.
    Im Vergleich zu Ihnen bin ich(Jahrgang 57)eine blutige Anfängerin was das Schreiben betrifft.
    Schreiben gerne und viel, veröffentlicht noch nie.
    Sie machen mir Mut, danke dafür.
    Herzliche Grüße
    Sonja

  8. Schöne Geschichte und überhaupt ein toller Erfahrungsbericht, den ich, wie auch schon andere auf Ihrer Seite, regelrecht verschlungen habe!

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